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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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hatten wir jungen Ärzte damals für einen Stress. Wiebke verlangte von mir, dass ich nachts genauso oft aufstehe wie sie, denn sie war schließlich Apothekerin und hatte Nachtdienste.« Sehr gewissenhaft stellte Volker mit seinen feingliedrigen Händen die Gedecke auf die farblich passenden Sets und legte dann das Besteck dazu. »Aber du – du hast es geschafft, Ruhe und Frieden in mein Leben zu bringen. So habe ich mir ein Familienleben immer vorgestellt. Die Frau waltet daheim, und der Mann geht sammeln und jagen.« Er hielt inne, sah mich an und lächelte dieses umwerfende Volker-Lächeln, das nur für mich reserviert war: »Welche Gläser nehmen wir heute?«
    »Die Riedel-Gläser«, sagte ich. »Man gönnt sich ja sonst nichts.«
    Volker lächelte mich an: »Mit dir passt alles. Du hast so viel Geschmack …«
    »Hab ja auch dich zum Mann«, kokettierte ich. »Wer sollte da noch an meinem Geschmack zweifeln?«
    »Ach, Herzerl!«, sagte er. Volker nannte mich nie Barbara, das klang ja auch nach Rhabarber oder Abrakadabra. Zum Glück auch nicht »Babs« – also wirklich, das klang doch nach versehentlichem Aufstoßenmüssen. Oder gar Bärbel – bitte, wer lässt sich denn freiwillig so nennen? Nein, Volker nannte mich »Herz« oder »Herzerl.« Das war genau so süß wie die »Krabbe« aus Svens Mund für Lisa.
    »Ach, Herzerl«, sagte also Volker, »alles ist so … harmonisch und stimmig. Du schreist nie mit den Kindern, du lernst mit ihnen, bist geduldig und singst mit ihnen …« Er grinste. »Zum Glück nur leise … Du bist einfach ein Traum von einer Mutter.«
    Meine Güte, was sagte er für liebe Dinge! Ich glühte innerlich vor Stolz und Glück. Ja, ich hatte mir wirklich Mühe gegeben, Volker und den Kindern ein behagliches Heim zu bieten, wohl wissend, was er alles bei Wiebke vermisst hatte. Auch seine eigene Mutter, Leonore, war eine dieser kaltherzigen, ehrgeizigen, strengen Mütter gewesen, die ihn nie gelobt und nie in den Arm genommen hatte. Bei einer schlechten Schulnote bekam er keinen Nachtisch. Volkers Vater war irgendein hohes Tier in der Regierung gewesen, und Volker sagte immer, er sei »zwanzig Jahre lang beim Militär« gewesen. Ich fand, dass er einfach nur Liebe und Fürsorge verdient hatte. Und ganz viel Nachtisch. Und dass es meine Aufgabe war, diese Versäumnisse in seiner Kindheit und seiner ersten Ehe auszugleichen. Es war die schönste Aufgabe der Welt. Ich war so voller Liebe und Zärtlichkeit für ihn und unsere Töchter, dass ich manchmal schier davon überlief. Wie das Töpfchen Brei aus dem Märchen.
    »Wie lange habe ich mich nach so einer Familie gesehnt!« Volker nahm mich wieder in den Arm, und ich stellte mich auf die Zehen und umarmte ihn, in jeder Hand ein Messer.
    Ich betrachtete unser Spiegelbild. Im Krimi würde die Frau jetzt von hinten zustechen. In die Halsschlagader. Ich musste grinsen. Welchen Grund sollte ich haben, meinen geliebten Volker zu ermorden? Vielleicht hatte Wiebke mit dem Gedanken gespielt? Als Volker sie verließ? Als er … mich kennen und lieben gelernt hatte? Ja, das muss ein schwarzer Tag in Wiebkes Leben gewesen sein. Aber sollte ich mich deswegen schuldig fühlen? Dafür, dass ich meinen schillernden Märchenprinzen aus den Fängen einer bleifarbenen Schlammeule gerettet hatte? Außerdem hatte ich es ja nicht mit Absicht getan.
    Volker liebte es, diese Begebenheit unseren Mädchen zu erzählen: »Eure Mama kam in meine Praxis und wollte ganz schnell eine Impfung, weil sie in ein tropisches Land reiste. Sie hatte überhaupt keine Zeit und musste noch packen – einen Krankenschein hatte sie auch nicht dabei. Da habe ich ihr mit Schmackes in den Hintern gestochen, damit sie mich nicht so schnell wieder vergisst.«
    Und das hatte ich auch nicht. Die Pobacke tat mir noch drei Wochen weh wie nach einem Hornissenstich, ich hatte irgendeine allergische Reaktion und fühlte mich, als säße ich mit nacktem Hintern in den Brennnesseln. Nach der Reise war ich sofort wieder hingegangen, zum »wilden Stecher«, wie Volker sich gern selbst nannte. (Also, Volker, BITTE ! Nicht vor den KINDERN !) Und zwar um mich über die grobe Behandlung zu beschweren. Als ich ihm zum zweiten Mal mein »Hintergesicht« zeigte, hatte ich wohlweislich keinen verwaschenen Baumwollschlüpfer an wie beim ersten Mal, sondern nur einen Hauch von Spitze, den ich mir extra für diesen Anlass zugelegt hatte. Diese Version erzählten wir den Kindern natürlich nicht. Volker sagte

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