Der Überraschungsmann
so auf?
» The Eisriesenwelt is actually owned by the National Austrian Forestry Commission . Wir bitten Sie jetzt schon zur Kenntnis zu nehmen, dass ein absolutes Fotografier- und Filmverbot herrscht.«
Die Inder hinter mir im Fond hörten erstmals mit dem erfreuten Kopfwackeln auf.
»Das gilt aber nicht für uns, nicht wahr?«, beugte sich ein Turbanträger mit schwarzem Bart vertraulich vor und wedelte mit einem Hunderteuroschein vor meinem Gesicht herum. »Wir wollen schon fotografieren. Dafür sind wir hier.«
»Es tut mir leid, aber ich habe das leider nicht zu ent scheiden!«
Mit ausladenden Bewegungen begann ich, den Kleinbus über die kurvige, steile Panoramastraße nach oben zu steuern. Von Panorama leider keine Spur: Wir versanken in einer Art graubrauner Mondlandschaft. Sämtliche neun Mitglieder der Inderfamilie klebten jedoch begeistert mit ihren Designer- Fotoapparaten an den beschlagenen Fensterscheiben.
»Der Fußmarsch innerhalb der Höhle umfasst tausendvierhundert Steinstufen«, sagte ich mit einem möglichst warnenden Unterton. Dabei kam ich mir vor wie ein ganz mieser Spielverderber.
»Auch in der Höhle dürfen Sie leider nicht fotografieren.«
»Why not?«
Inzwischen flatterten zweihundert Euro vor mir im Luftstrom der Wagenheizung. Ich begann hilflos zu kichern.
»Es geht um die Naturbelassenheit der Höhlen. Blitzlichter zerstören den schönen Eindruck der absoluten Dunkelheit.«
»No ploblem. No ploblem« , sangen die freundlichen Herren auf der Rückbank.
Sah ich richtig? Ich kniff die Augen zusammen. Da flatterte doch glatt ein Fünfhunderteuroschein über der Heißluftzufuhr!
Die Damen in ihren Saris sagten zwar nichts, freuten sich aber immer noch. Genau wie die Kinder auch.
Ich beschloss, noch ein bisschen deutlicher zu werden: » EINTAUSENDVIERHUNDERT Stufen. Das entspricht etwa achtzig Stockwerken. Sie werden vorher mit Grubenlampen ausgestattet, die Sie auf der Stirn tragen, damit Sie beide Hände frei haben, um sich abzufangen, falls Sie auf den feuchtkalten Stufen ausrutschen.«
Erfreutes Wackeln mit den Köpfen.
Wann schrien die endlich: »Ich will hier raus?« Meine Kinder hätten längst protestiert! Ich konnte es nicht fassen. Wie fies musste ich denn noch werden?
»Bevor wir die Höhle erreichen, müssen wir zwei Mal eine halbe Stunde durch unwegsames Gelände über Steine, Wurzeln und Geröll gehen«, ergriff ich erneut das Wort. »Dabei überwinden wir bereits 134 Höhenmeter.« Das Mikrofon quietschte, es war übersteuert.
»No ploblem, no ploblem!«
Ob sie gleich mit einem Tausender wedeln würden?
Ich reckte den Hals. »Wie alt ist denn die Oma auf der Rückbank?«
»Oh, she is eightythree. Yes, eightythree.«
»Und Sie sind sicher, dass Sie sie mit in die Eishöhle nehmen wollen?«
» Yes, sure! Sie hat noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen, geschweige denn Eisskulpturen, und sie sagt, sie kann nicht sterben, bevor sie die gesehen hat!«
»Und Sie wollen wirklich mit Flipflops diese Höhlenwanderung antreten?«
»Sure. Why not?«
Das fand ich wirklich witzig. Hier in den abgelegenen Tälern hielt man Flipflops wahrscheinlich für Fliegenklatschen oder ein Fertiggericht aus der Tiefkühltruhe.
Als wir schließlich den windigen Parkplatz erreichten, wo uns Minusgrade erwarteten und feuchte Nebelschwaden umwaberten, waren die Inder ganz aus dem Häuschen vor Freude. Die leere Gummibärchentüte wurde vom Wind erfasst und davongetragen. Die Kinder sprangen herum und rissen die Arme in die Höhe, als wären sie die ersten Menschen auf dem Mond.
Meine Kinder hätten sich wie geprügelte Hunde in die Andenken- und Würstchenbude verkrochen: »Ich will andere Eltern!«; » IMMER muss ich zu Fuß in die Eisriesenwelt!« Aber die Inder wackelten erfreut los. Die Oma zog zwar unauffällig den Seidenschal über ihre nackte Schulter, war aber guter Dinge.
»Zehn Mal«, sagte ich am Ticketschalter zu dem Natur burschen, der dort mit Mütze und Handschuhen hinterm Ofen saß.
»Bleib du fesches Dirndl doch hier unten!«, schlug er vor. »Oben hat’s eh an Führer.«
»Ich kann die Inder unmöglich in ihr Unglück rennen lassen!«
Diese schrien gerade auf – vor Entzücken. Sie standen vor dem ersten Schnee ihres Lebens! Zwar handelte es sich nur um ein dreckiges Schneebrett, das von vielen Fußabdrücken verunstaltet war, aber sie gingen in die Hocke und fotografierten es, als handelte es sich um einen seltenen Diamanten oder um ein Neugeborenes. Sie
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