Der Überraschungsmann
Frauen heulten, die Männer schüttelten ihre Köpfe. Alle entsorgten ihre Flipflops und kauften sich Wanderschuhe. Das hätten sie ruhig mal eher tun sollen, dachte ich. Wir betranken uns.
Das heißt, sie betranken sich. Ich musste ja noch fahren. Es war fast Mitternacht, als ich sie endlich wieder vor ihrem Hotel ablieferte. Nie wieder, das schwor ich mir, trage ich eine indische Oma durch die Eisriesenwelt! Da höre ich ja noch lieber meiner eigenen Schwiegermutter beim Operettenträllern zu.
Wie das bei uns in Salzburg so ist, waren es kurz darauf wieder 36 Grad, und die Kinder und ich sehnten uns nach einer Abkühlung. Da sie auf keinen Fall wieder bei Leonore bleiben wollten, hatte ich vorgeschlagen, sie auf meine Nachmittagstour nach Hellbrunn mitzunehmen.
Lisa war auch mit von der Partie.
So hatte ich alle meine Lieben bei mir, was mich glücklich machte. Mit Volker war auch alles wieder im Reinen: Wir hatten uns nach seiner Athenreise wieder vertragen und schon wieder stürmisch und zärtlich geliebt.
Mit den Fahrrädern schaukelten wir gemächlich über die fünf Kilometer lange, schnurgerade Allee, die von der Salzburger Altstadt nach Hellbrunn führt. Lisa flitzte im kurzen, knappen Sommer-Hängerchen mit ihrem Mountainbike übermütig vor unserer Gruppe her, und kein Mensch konnte ahnen, dass sie schon im fünften Monat war. Meine Mädels strampelten irgendwo im Pulk der palavernden Italiener.
»Signore e Signori!« , versuchte ich mir Gehör zu verschaffen, als wir unsere Räder in den Park schoben und unter lautem Getöse am Fahrradständer anschlossen. »Dieses Lustschloss italienischer Prägung ließ sich Fürstbischof Markus Sittikus 1613 bis 1615 von seinem Hofbaumeister Santino Solari erbauen. Schloss und Park – un pò più piano per favore – sind ein Gesamtkunstwerk der Spätrenaissance und damit einer der wertvollsten Kulturschätze Österreichs!«
Lisa und die Kinder lehnten an der gelben Mauer und amüsierten sich über meine verzweifelten Versuche, mir Gehör zu verschaffen.
» Signore e Signori , hier vorn steht der Glaspavillon aus Sound of Music , darin spielt die Szene, in der der Briefträger Max der ältesten Tochter …«
Keine Chance. Ich konnte die vor Begeisterung rasenden Ita liener nicht dazu bringen, mir zuzuhören. »Sixteen, going on seventeen« , brüllte ich, und die laut quakenden Damen neben mir kapierten, was ich sagen wollte. Sie rissen sich gegenseitig die Fotoapparate aus der Hand und schubsten sich vor den Pavillon, um sich gemeinsam zu fotografieren. Dann kamen sie auf die Idee, mir die ganzen Fotoapparate umzuhängen, und platzierten sich schnatternd und lachend im Halbkreis.
»Ich möchte noch etwas sagen … per piacere, più piano …«
Keine Chance. Ich war einfach nur die Mattka fürs Grobe: Fotografieren und Klappe halten. So waren die Italiener.
Da ertönte plötzlich Lisas helle Stimme. » I am sixteen, going on seventeen …« Und sofort schwiegen alle Italiener. Charlotte und Pauline sangen mit. Sie wirkten wirklich wie die Trapp-Family!
»Belle voci!« , flüsterten sie ergeben und fotografierten meine drei Mädchen. Ich stand da und lauschte ebenfalls ganz verzückt. Bisher hatten Charlotte und Pauline das Singen immer schrecklich peinlich gefunden, aber hier mit Lisa genossen sie es.
»Sue figlie cantano fantasticamente …« , flüsterten mir die Damen mit Tränen in den Augen zu.
»Ja, ja, ich bin auch wirklich stolz auf meine Töchter«, flüsterte ich zurück.
Brausender Applaus tobte über den drei blonden Pferdeschwänzen von Lisa, Charlotte und Pauline. Armreifen schepperten, und Euroscheine wurden aus Portemonnaies und Handtaschen gerissen: »Brave, brave!« Die Touristen bekamen sich vor lauter Begeisterung kaum noch ein.
Mir wollten vor Glück fast die Tränen kommen: Noch NIE waren meine Mädels dazu bereit gewesen, auch nur einen KANON zu singen! Von wegen »Bona nox, bist a rechta Ochs«! Da konnte sich Oma Leonore bemühen, wie sie wollte. Und jetzt sonnten sie sich auf einmal im Applausgewitter. Und wie Lisa unsere Familie bereicherte! Wenn Volker das doch nur endlich einsähe!
Endlich hatte ich die Italiener da, wo ich sie haben wollte: Sie hatten Respekt und hörten aufmerksam zu. Wir wanderten in gesitteten Zweierreihen durch den herrlichen Park, wo unter Schatten spendenden Bäumen ganze Familien auf ihren Decken saßen und picknickten, Kinder Ball spielten und Hunde tobten. Das war wieder einer dieser Momente, in
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