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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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steckten ihre Finger hinein und führten ein Stück grauschwarzen Altschnee zum Munde, an dem sie begeistert leckten.
    » It’s cold !«, sagten sie lachend, als ob ich ihnen das nicht schon eine Stunde lang gepredigt hätte. Davon würden die Inderkinder in achtzig Jahren noch schwärmen.
    »You really should buy warmer clothes now!« Ich zwinkerte dem Naturburschen hinter dem Ticketschalter zu. Der würde jetzt das Geschäft seines Lebens machen. Hinter ihm sah man Pullover, Mützen, Handschuhe und Wetterjäckchen. Bestimmt bekam ich jetzt Prozente.
    »No, we are really okay.«
    Die Inder wollten doch partout erfrieren! Fröhlich erklom men sie die Schneebretter mit ihren Flipflops, die Kinder kreisch ten vor Begeisterung, und die Oma stieß jauchzende Laute aus, als ihre turbanbewehrten Söhne sie darüberhievten. Die Frauen in ihren flatternden Saris kicherten, rutschten, stolperten und freuten sich. Statt sich ihre paar Klamotten eng um den Körper zu wickeln, ließen sie ihre Schleier und Tücher im Wind flattern. Dass diese nicht über alle Berge flogen, war mir ein Rätsel. Irgendwo mussten sie doch ein paar Sicherheitsnadeln aufgetrieben haben. Dann wurde der Weg steil und eisig, und die Inder stöhnten und keuchten. Sie hatten natürlich überhaupt keine Kondition. Im Schneckentempo bewegten wir uns vorwärts. Der Sturm peitschte. Es schneite. Die Pfützen waren vereist und brachen unter unseren Füßen. Die Baumgrenze war erreicht. Um uns herum nur noch kahle Felsen und tropfendes Gestein. Wasserfälle brausten hernieder. Die Oma und sämtliche Kinder wurden inzwischen huckepack getragen. Die Turbanträger klapperten mit den Zähnen. Ihre Füße in den Flipflops waren blau gefroren.
    Hab ich’s euch nicht gesagt? Ich hab es euch doch gesagt!
    Meine groben Schnürschuhe knirschten im Schnee. Die Inder rutschten und stolperten. Immer wenn sie hinfielen, und das taten sie oft und gern, lachten sie sich kaputt.
    Freunde, das ist erst der HIN weg. In der Höhle wird es deutlich kälter, steiler und rutschiger. Außerdem gibt es dort kein Tageslicht. Und keinen McDonald’s. Nur mal so nebenbei erwähnt. Das alles sagte ich freundlich auf Englisch. Ich hätte es auch auf Chinesisch oder Guatemaltekisch sagen können – sie WOLLTEN mich einfach nicht verstehen.
    Normalerweise brauchte ich mit einer Gruppe etwa eine Stunde. Bis zum EINGANG der Höhle, wohlgemerkt. Danach ging es ja erst richtig los. Immerhin gelangten wir auf diese Weise, wenn auch mit großer Verspätung, bis zum Eingang der Höhle. Dann fing die Oma an zu weinen.
    »She’s cold« , erklärte mir einer der Turbanträger.
    »Was Sie nicht sagen.«
    »She wants to go back.«
    »Ja, wie – jetzt?!«
    »You go back with her.«
    »No! I don’t even think about that!«
    Der Turbanträger zog zwei Fünfhunderter aus seiner Hemdtasche. »You go.«
    »Okay, okay!« Ich steckte mir die Kohle in den Busenritz meines Dirndls und nahm die Oma in den Schwitzkasten. »Aber huckepack trage ich sie nicht!«
    Als ich nach einer Stunde mit der laut jammernden Oma unten bei der Andenkenbude ankam, hörte ich johlendes Gelächter. Es kam von dem Naturbuschen. Der hatte es sich bei Schnaps und Bier am Ofen in seiner Andenkenbude bequem gemacht.
    »Na so a Gaudi hab i lang net g’habt!«
    »Ja du, und ICH erst!«
    Die indische Oma wollte auch eine Gaudi. Da sie kein Wort Englisch sprach, konnte ich nur erahnen, was sie wollte: Sie musste dringend mal Pipi.
    Mit dem betrunkenen Almöhi schleifte ich die arme alte Dame auf das Plumpsklo hinter der Bude. Ihre Hände waren so steif gefroren, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihre Saris zur Seite zu räumen.
    Der Wurzelsepp lachte heiser und schlug sich auf die Schenkel. »Vorhang auf«, krächzte er begeistert, »die Show beginnt!«
    Ich schlug ihm vor, doch wieder in seine Bude zu gehen, und versuchte, die Würde der alten Dame weitgehend zu retten, indem ich ihr bei ihrer umständlichen Verrichtung half.
    »Also des find i voll supa«, sagte der Wurzelsepp lachend.
    Zu meinem Erstaunen lachte die indische Oma auch, sobald wir ihr etwas Schnaps eingeflößt und sie in Naturburschen-Fleecejacken und -Mützen gehüllt hatten. Sie schob ihre nackten Füße vor das Feuer und schleuderte ihre Flipflops hinein. Wir boten ihr Mannerschnitten und Steckerlfisch an, welche sie begeistert in sich hineinstopfte. Als die anderen Inder nach vier Stunden wieder zurückkamen, waren alle »very impressed «. Die Kinder und

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