Der Überraschungsmann
auch.
Mit meinem roten Panoramabus holte ich die Inder wie ver abredet morgens um zehn vor ihrem Hotel ab. Zu meiner Überraschung kamen sie mir in ihren Saris entgegen, eine Schulter frei, die andere gerade mal locker mit hauchdünner indischer Seide bedeckt, und ihre nackten Füße steckten in Flipflops.
Ähm … Wollten die so mit?
Die Männer hatten zwar einen Turban auf, aber dafür kurzärmelige Hemden an. Auch die Kinder waren hochsommerlich gekleidet, bunte Kleidchen die Mädchen, kurze Hosen und T-Shirts die Buben.
Die indische Oma bequemte sich zuerst zu mir in den Bus; schwer atmend und keuchend zwängte sie sich und ihre vielen bunten Seidentücher hinein. Ihre grauen langen Haare, die sie zu einem Dutt gebunden hatte, waren vom Sprühregen schon ganz durchnässt.
Das Busthermometer zeigte schauerliche elf Grad. Ich selbst steckte in meinem wärmsten Winterdirndl, in groben Strümpfen, festen Schnürschuhen, einer dicken, kratzigen Wolljacke und fror immer noch.
Nachdem die Oma endlich auf der Rückbank verstaut war, krabbelten drei Frauen, dann die Kinder und schließlich die dicken Männer herein.
Ich fragte auf Englisch, ob sie sich wohl fühlten und ob ihnen warm genug sei.
Die Inder wackelten erfreut mit den Köpfen, was bei ihnen »Ja« bedeutete, obwohl es aussah wie »Nein«.
»Don’t you have warmer clothes?«, fragte ich. »It will be cold in the ice caves!«
Die Inder wollten aber keinesfalls wärmere Sachen holen, sosehr ich ihnen auch anbot, vor dem Hotel auf sie zu warten. Entweder hatten sie keine warmen Klamotten, oder aber sie fanden es angenehm, mal ein bisschen zu frieren.
»Voll die ganz neue Grenzerfahrung«, hätte Emil jetzt gesagt. Ich musste den Kopf senken, damit sie nicht im Rückspiegel sahen, wie ich mir ein Lachen verkniff.
»You need warmer clothes!« , beharrte ich. »It may be some degrees under zero over there!«
Die Inder winkten lässig ab, sie würden sich bei Bedarf vor Ort warme Sachen kaufen, und ich solle endlich losfahren.
Ich gehorchte, und da die Heizung im Wagen volle Pulle aufgedreht war, fühlten sie sich auch keineswegs unwohl.
In mein kleines Mikrofon sprach ich, was die Inder auf die Schnelle über die Ice Caves wissen sollten: Dass sie etwa eine Autostunde von hier entfernt lagen, unweit von Werfen. »At the end of the nineteenth century the caves were only known to hunters and poachers« , sprach ich in mein Mikrofon, während ich den Blinker setzte und mich in Richtung Villach auf die Autobahn einordnete.
Die Inderkinder bohrten in der Nase und hörten mir gar nicht zu. Bestimmt dachten sie auf Indisch »Laaangweilig«, und ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Eines der Mädchen packte einen süßlich riechenden Kaugummi aus.
»Erst 1879 drang der Salzburger Naturforscher Anton von Posselt-Czorich – ein Name, den ihr euch ganz bestimmt merken werdet, liebe Inder – rund zweihundert Meter weit ins Dunkel vor und entdeckte die Eisriesenwelt damit offiziell. Ein Jahr später veröffentlichte er zwar einen ausführlichen Bericht über seinen Besuch in der Zeitschrift des Alpenvereins, a mountaineering magazine , dennoch geriet die Höhle wieder back in obscurity .« Während ich die Scheibenwischer kurz vor Golling auf die stärkste Stufe stellte, erklärte ich, dass immerhin schon 1920 die ersten primitiven Steiganlagen zu Höhle und ihrem Inneren errichtet worden seien.
Spätestens jetzt mussten die sich doch mal über ihr Schuhwerk Gedanken machen! Doch die Inder saßen fröhlich auf ihren Rückbänken, genossen offensichtlich den Anblick der nassen Felsen rechts und links der Autobahn und bekamen auch keinesfalls Depressionen, als wir in den zweiten Tunnel einfuhren. Die Kinder ließen eine Tüte Gummibärchen herumgehen, an denen sich auch die Oma erfreute.
»1924 war der Eisteil der Höhle durchgehend begehbar, und 1925 entstand ein großzügiges Schutzhaus. Rund fünfundzwanzig Jahre war der Aufstieg zur Höhle ausschließlich zu Fuß möglich …«
Du machst ihnen falsche Hoffnungen, dachte ich. Die denken jetzt, dass man da sonnenbaden und in Flipflops rumlatschen kann.
»Ab 1955 konnte man in die Seilbahn umsteigen, die den steilsten Teil des Weges, nämlich von 1 080 auf 1 580 Meter, in wenigen Minuten bewältigt.«
Wie ich bei einem Blick in den Rückspiegel feststellte, wackelten die Inder erfreut mit den Köpfen. Na bitte!, schienen sie zu denken. Was regt sich die Alte in dem bescheuerten Grobgestrickten denn
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