Der Überraschungsmann
Falle gelaufen zu sein, die Volker mir so deutlich vor Augen gehalten hatte.
Als Lisa endlich glücklich drüben in ihrem Häuschen war, schlich ich in Volkers Arbeitszimmer. Er war immer noch nicht von seinen Hausbesuchen zurück. Mit zitternden Fingern googelte ich das Schiff, auf dem Sven Kapitän war. Es war die MS Voyager, die Reederei hieß »Seven Seas Cruises«, das stand alles in den Schiffsunterlagen, die Lisa uns von ihrer Ostseereise mitgebracht hatte. Komisch, dachte ich, während ich im Internet herumsurfte. Komisch, dass sich die Segel im wahrsten Sinne des Wortes um hundertachtzig Grad gedreht hatten. Tja, aber das war anscheinend bei Seeleuten so. Man durfte ih nen einfach nicht trauen. In diesem Punkt waren Leonore und Volker einer Meinung gewesen. Die arme Lisa! Dabei hatte dieser Sven einen so sympathischen, verlässlichen Eindruck auf mich gemacht. Als ich sein Foto auf der Internetseite der Reederei auftauchen sah, schlug ich mir mit der flachen Hand vor die Stirn: Sogar ich, eine verheiratete Frau mit jeder Menge Lebenserfahrung, war auf diesen gut aussehenden Typen hereingefallen. Und mit Uniform sah er einfach NOCH viel besser aus! Natürlich war der von Frauen umschwärmt! Die Millionärinnen RISSEN sich um den! Bestimmt wollten die alle abends bei ihm am Tisch sitzen oder sogar mit ihm an Land gehen. Der brauchte schon von BERUFS wegen Kondome. Wäre ich eine einsame amerikanische Millionärin, würde ich bei dem feschen blonden Kapitän eventuell auch schwach werden. Klar band der nicht jeder auf die Nase, dass er zu Hause eine schwangere Ehefrau sitzen hatte. Aber charakterstark war das nicht gerade. Ich kniff die Lippen zusammen und schüttelte missbilligend den Kopf.
Kurz entschlossen wählte ich die zwölfstellige Nummer, die auf der Reisebroschüre angegeben war. In flüssigem Englisch bat ich die Dame am anderen Ende der Leitung, mich zu Kapitän Sven Ritter durchzustellen.
»In welcher Angelegenheit?«
»Privat. Es geht um seine Frau.« Ich hörte meine Stimme als Echo nachhallen. Ein kurzes Knacken, und schon hatte ich ihn am Apparat.
»Hallo, Barbara«, hörte ich seine sympathische tiefe Stimme mit dem norddeutschen Akzent. »Wie geht’s?«
Sofort bekam ich eine Gänsehaut. Ich sah ihn vor mir, wie er hier mit Lisa auf der Kaminbank gesessen hatte. Verliebt hatten sie mir eröffnet, dass sie Eltern werden würden.
»Wie es mir geht, steht hier nicht zur Debatte«, antwortete ich kühl. »Aber warum fragst du nicht nach Lisa?«
Stille. Dann kam ein zögerliches: »Ähm …, ist es schon so weit?«
»Nein, natürlich NICHT ! Du als werdender Vater solltest doch wissen, wann der Geburtstermin ist!« Ärgerlich klopfte ich mit einem Bleistift auf Volkers Arbeitsplatte. »Ihr geht es nicht gut, Sven. Sie weint ständig. Sie hat Angstattacken. Sie traut sich das Singen nicht mehr zu. Sie versucht, dich zu erreichen, doch du hast nie Zeit für sie.«
Ich hörte den Nachhall meiner entrüsteten Stimme. Endlich kam die Antwort.
»Das tut mir echt leid, aber ich bin hier furchtbar beschäftigt …«
»Und das ist ALLES , was du dazu zu sagen hast?«
»Tja.« Es rauschte und knackte im Äther.
»Sven!«, schrie ich gegen das Satellitengeräusch an. »Kannst du nicht wie geplant im Oktober kommen?«
»Nein, das geht wohl nicht. Ich habe die Reederei gewechselt …«
»Was heißt hier ›wohl nicht‹?! Willst du oder kannst du nicht?«
» Bitte glaub mir, Barbara, ich KANN NICHT .« Pause. Dann, von weit her: »Ich bin neu. Ich kann noch nicht um Urlaub bitten!«
»Aber du kannst sie doch jetzt nicht einfach so im Stich lassen!«, rief ich in den Hörer.
»Das verstehst du nicht«, drang seine tiefe Stimme aus dem Hörer. »Bitte, Barbara, kümmere dich um sie. Sie braucht dich. Ich kann hier am anderen Ende der Welt einfach nichts für sie tun.«
Nach diesen Worten war die Leitung tot. Ich raufte mir fassungslos die Haare und fluchte vor Entsetzen. Verdammter Schuft! Was für ein Arschloch! Leonore hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Männer sind Schweine. Mir wurde ganz heiß vor lauter Frust. Er hatte einfach aufgelegt!
»Gut, das ist ja dann wohl eine Sache für den Anwalt!« Meine Stimme klirrte vor Zorn. Energisch lief ich in Volkers Arbeitszimmer auf und ab und hörte meine Absätze auf dem Parkettboden klappern. »Dieser Sven muss jetzt Farbe bekennen.«
Volker war endlich zurückgekommen und hatte mich ganz aufgelöst an seinem Computer vorgefunden.
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