Der Überraschungsmann
Wasser und schien ihr Töchterchen bereits jetzt gegen die Unbill des Lebens abhärten zu wollen. Ansonsten übte sie wie verrückt neue Partien ein. Sie wollte während der Festspiele unbedingt an einer Meisterklasse für die weltweit besten Nachwuchssänger teilnehmen! Das war eine ganz andere Baustelle als ein Engagement am Landestheater! Der Ehrgeiz trieb sie um. Seit sie von Sven geschieden war, hatte sie sich wie eine Wahnsinnige in die Arbeit gestürzt. Ich machte mir Sorgen um sie.
»Volker, sieh bitte in deiner Mittagspause nach ihr! Ich schaffe es heute nicht, nach Hause zu kommen! Habt ihr alles? Ich habe vorgekocht. Das Essen ist im Kühlschrank. Bitte sorg dafür, dass das Baby Gemüsebrei zu sich nimmt.«
Lisa wollte jetzt abstillen. Sie musste jetzt unabhängig sein für ihre Meisterklasse. Das Füttern würde dann an mir hängen bleiben. Aber das machte ich natürlich gern. Ehrlich gesagt freute ich mich richtig darauf, das Baby ganz allein für mich zu haben! Außerdem gönnte ich Lisa ihre Karriere von ganzem Herzen. Allein schon Leonore zum Trotz! Lisa sollte ihre Karriere NICHT an den Nagel hängen müssen. Es machte mir Spaß, sie zu unterstützen, denn sie war gut. Lisa war uns wie ein schöner Schmetterling ins Haus geflattert, und ich hatte ganz unauffällig die Fenster verschlossen, damit sie uns nicht wieder davonfliegen konnte. So gesehen stand Lisas Karriere auf internationalem Parkett eigentlich nichts mehr im Weg. Am Ende der Festspiele gab es für die acht besten Nachwuchssänger ein Abschlusskonzert. Und diesem würden Agenten und Intendanten beiwohnen. Dieses Konzert war sozusagen das Flugticket in höhere Sphären. An Spitzenhäuser. Mit Spitzengagen. Die kleine Lisa aus dem Tiroler Tal würde eines Tages ganz oben sein.
Ihre wirkliche Mutter, diese ignorante Bäuerin, die ihr Talent nie erkannt hatte, würde eines Tages ihren Augen und Ohren nicht trauen, wenn Lisa im Fernsehen auftreten und auf den Titelseiten des Festspielmagazins zu sehen sein würde. Wenn ihre Konzerte live auf die große Leinwand am Kapitelplatz übertragen würden. Solche Tagträume beflügelten mich.
Wenn ich also nach drei oder vier Stadtführungen mit schmerzenden Füßen wieder nach Hause kam, nahm ich Lisa sofort das Baby ab.
Das war doch Ehrensache.
»Wenn du pünktlich bist, kann ich dich reinschleusen!« Lisas Augen glühten vor Aufregung und Vorfreude. »Jürgen Flimm unterrichtet vier der besten Nachwuchssänger öffentlich! Ich bin dabei!« Sie hüpfte aufgeregt vor mir herum.
Klein Fanny trat mir bei dem Versuch, auch zu hüpfen, mit ihren stämmigen Beinchen in den Bauch.
»Ludwiga Christ hat mich ausgesucht! Wir machen eine szenische Probe in der Universitätsaula, aber sie ist schon ausverkauft!«
Jürgen Flimm? HIMSELF ? Und Ludwiga Christ, die weltberühmte Kammersängerin? Mir schossen die Tränen in die Augen. »Mädchen, was bin ich stolz auf dich!«
»Aber du darfst keine Sekunde zu spät kommen – sie schließen die Türen!«
Ja, das war mir klar. »Ich versuche, meine Touristen so schnell wie möglich durch das Gewühl zu schleusen. Um Punkt drei stehe ich vor der Aula. Hoffentlich hat dann keiner mehr eine Frage oder muss Pipi oder so …«
Lisa hatte keinen Sinn für meinen Humor.
»Ein öffentlicher Meisterkurs erfordert allerhöchste Konzentration. Da können Krethi und Plethi nicht einfach so hereinplatzen.«
»Klar. Ich muss nur sehen, dass ich Fanny ruhig halte.«
»Hoffentlich lassen sie dich mit dem Kinderwagen überhaupt rein!« Lisa wirbelte schon wieder aufgeregt bei uns im Musiksalon herum: »Die szenischen Proben sind so was von aufregend! Jürgen Flimm ist der Beste! Der ist so was von witzig und charmant! Kannst du dir vorstellen, dass er sich überhaupt mit mir kleiner Tiroler Landpomeranze abgibt – und das vor großem Publikum?«
»Ja, natürlich!«, rief ich entrüstet. »Der soll froh sein, dass er so ein traumhaftes Talent wie dich fördern darf!« Ich lächelte sie aufmunternd an.
Dieser Meinung war auch Volker, der gerade zufällig ins Haus kam. »Der kann sich damit letztlich selbst profilieren. Mit so einem feschen Hasen wie dir kann er nix falsch machen!«
»Volker!«, sagte ich tadelnd und schüttelte lachend den Kopf. »Das ist ja Skilehrervokabular!«
»Ich liebe meine Frau!« Volker zwinkerte Lisa schelmisch zu. »Sie sagt immer das Richtige.« Volker kniff zuerst dem Baby und dann mir beherzt in die Wange. Dann wandte er sich an Lisa:
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