Der Überraschungsmann
drohenden Unterton. »Hier!« Er zog ein Blatt Papier aus der obersten Kommodenschublade. »Unterschreib! ›Ich, Sven Ritter, verpflichte mich, monatlich den gesetzlich vorgeschriebenen Betrag von …« – er zögerte, schaute kurz an die Decke und kratzte sich mit dem Kugelschreiber am Kopf – »… 386,95 Euro – in Worten dreihundertsechsundachtzig Euro und fünfundneunzig Cent – an die Mutter meines Kindes … per Dauerauftrag bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr …«
Das kritzelte er in seiner Arztschrift auf dieses Blatt, und ich betrachtete seine Hand, mit der er vor Kurzem noch das Kinderzimmer aufgezeichnet hatte. Diesmal war seine Federführung fest und energisch. Der Kugelschreiber bohrte sich förmlich in das Papier und die Tischplatte.
»So! Das unterschreibst du jetzt. Vor den Augen von meiner … ich meine natürlich … deiner Frau.«
Sven sah Volker fragend an. »Aber so war das nicht besprochen?«
»Das ist eine FORMSACHE !« Volker duldete keine Widerrede. »Wir brauchen das schriftlich. Das hat mir mein Anwalt eingetrichtert. Keine mündlichen Absprachen mehr.« Er durchbohrte Sven mit eindringlichen Blicken. »Damit die Sache ein für alle Mal geklärt ist.«
Lisa schluchzte an meiner Schulter laut auf. »Ich halte das alles nicht mehr aus!«
Wie demütigend musste diese Szene für sie sein!
»Los!«, herrschte ich Sven an und trat gleichzeitig einen Schritt auf ihn zu. »Vorher lassen wir dich nicht gehen.«
Mit zusammengekniffenen Augen musterte ich Sven, der zögernd nach dem Kugelschreiber griff. »Eine reine Formsache, habt ihr gesagt?!«
Lisa weinte hemmungslos.
»Ja, nenn es ruhig so!«, keifte ich Sven an. »Los, unterschreib, und dann verschwinde aus unserem Leben!«
»Das mit dem Haus regeln unsere Anwälte«, sagte Sven mit einem Seitenblick auf Volker. »Du zahlst mir Miete für deine Söhne.«
»Wir haben das besprochen«, sagte Volker von der Tür her. Er hatte inzwischen das Baby auf dem Arm, das sich, an seine Brust geschmiegt, sofort beruhigte. Unsere Töchter waren auch aus dem Kinderzimmer gekommen und schmiegten sich an mich.
Welches Bild sich Sven da bot: eine starke Mutter, die ihre Töchter an sich drückt. Ein Vater, der Verantwortung für ein fremdes Baby übernimmt. Wir waren eine Bastion. Wir Eltern beschützten die Kinder, und wir beschützten uns gegenseitig. Lisa und das Baby gehörten unwiderruflich zu unserer Familie. Sven war hier der einzige Fremdkörper, und er schien es auch zu spüren. Nachdem er unterschrieben hatte, warf er den Kugelschreiber auf den Tisch und eilte zur Tür.
Nachdem diese hinter ihm zugefallen war, atmeten wir alle erleichtert auf.
»Er hat dich nicht verdient, Lisa-Schatz!«, flüsterte ich ihr zu. »Jetzt wird alles wieder gut.« Seelenruhig nahm ich die Fernbedienung von der Anrichte und öffnete das Gartentor. Durch das Küchenfenster konnten wir beobachten, wie Sven in seinen Wagen sprang und mit aufheulendem Motor rückwärts aus der Einfahrt raste. Als er weg war, glitt das Gartentor lautlos wieder zu. Wir umarmten uns fest. Wir waren eine Familie. Da fuhr die Eisenbahn drüber.
14
Der Festspielsommer zog uns alle wieder in seinen Bann: Unsere kleine, verträumte Stadt wurde überrollt von Welt stars und jenen, die sie sehen wollten. Schon morgens um sieben trippelte ich nervös in meinem Dirndl aus dem Haus, weil um acht Uhr die ersten Busse in der Paris-Lodron-Straße ankamen. Ich hatte Hundertschaften von Touristen durch die überfüllte Innenstadt zu schleusen. Das war körperliche Schwerst-arbeit, besonders bei 30 Grad im Schatten!
Die Mädchen waren zum Glück im Ferienlager am Wolfgangsee. Direkt nach Schulferienbeginn hatte ich sie mitsamt Luftmatratze, Schnorchel, Taucherbrille, Tennisschläger und ihrem ganzen Mädchenkram dorthin verfrachtet.
Die Jungen waren ohnehin mit sich selbst beschäftigt: Emil machte ein Praktikum in einem Altersheim, und Nathan spielte Bridge. Was sonst. Ich kümmerte mich darum, dass sie ihr Frühstück bekamen, putzte schnell ihre Höhle und fand leere Flaschen, Pizzareste und … Kondome unter ihren Betten. Oje, welch unerfreuliches Thema! Aber in ihrem Alter waren die Dinger angemessen. Mit einem großen Müllsack bewaffnet watete ich jeden Morgen durch ihr Revier.
Lisa und ihr Baby hielten mich zusätzlich in Atem.
Lisa saß in ihre Noten vergraben mit dem kleinen Mädchen auf dem Liegestuhl am Schwimmteich, tauchte ab und zu ein zappelndes Beinchen ins
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