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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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weichem rotem Leder, die mit bunten Holzperlen verziert war. Sie lag in einem Schaufenster und schien mir zuzurufen: Lauf nicht weg! Nimm mich mit! Du brauchst jetzt Trost! Gönn dir doch mal was!
    Genau die könnte ich für meine Stadtführungen brauchen. Sie passte farblich zum Dirndl, ohne altbacken zu wirken, und hatte einen bequemen Schultergurt, ohne an Eleganz zu verlieren. Da konnte ich alles unterbringen, was ich für einen sechsstündigen Stadtmarsch brauchte samt Schirm, Jacke und Schuhen zum Wechseln! Ich verlangsamte meine Schritte und warf einen Blick auf das Preisschild: 386,95 Euro. Danke, unerschwinglich. Schade. Das wäre meine Traumtasche gewesen.
    Schließlich rettete ich mich in den Mönchsbergaufzug und fuhr rauf zum M32, einem modernen Lokal samt Aussichtskanzel aus dicken Steinplatten. Schleunigst suchte ich das Weite und floh in den Wald hinein. Hier würden mir keine Fremden nachstellen, um in den Kinderwagen zu schauen und idiotischen Small Talk zu machen. Mein Herz schlug langsamer. Mit weit ausholenden Schritten lief ich über sanft bewaldete Hügel und sog gierig die würzige Luft ein. Der Mönchsberg war wie so oft mein bester Freund. Dieses kleine Naturwunder mitten in der Stadt konnte mich immer trösten und neu beleben! Für mich wirkte er wie ein gestrandeter Wal, auf dessen Rücken ich mich flüchten und eine Weile dahingleiten konnte. Ich wanderte zu meiner Lieblingsstelle, der Richterhöhe, von der aus man einen einmaligen Blick auf die Festung hat und auf der anderen Seite zum Leopoldskroner Schloss sowie Leopoldskroner Weiher hinübersieht.
    Vor dem alten Wehrturm blieb ich stehen und beugte mich über den Kinderwagen. Fannys kleines Gesichtchen war mir schon so vertraut, dass ich sie wirklich wie mein eigenes Kind empfand. Sah Fanny meinen Töchtern denn wirklich ähnlich? So was soll es ja geben, das war ja schon bei Hunden und ihren Herrchen ein Phänomen: Wie der Herr, so ’s Gescherr. Auch Ehepaare wurden sich ja im Lauf der Zeit immer ähnlicher. Ich selbst sah in Fanny ein Abbild ihrer Mutter. Sie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit mir oder meinen Töchtern! Sie besaß die gleiche kleine Stupsnase, die gleiche Wangenpartie und das gleiche ausgeprägte Kinn wie Lisa. Und die riesengroßen Augen von Sven. Was die Leute nur alle hatten mit ihrem blöden Geschwätz! Halb verärgert, halb amüsiert schüttelte ich den Kopf. Andererseits war es auch nur wieder logisch: Da sie mich ständig mit dem Kinderwagen umherziehen sahen, glaubten sie natürlich, dass es mein eigenes Kind wäre.
    Wie schön es doch hier oben war! Sollten sie sich doch da unten in der Stadt drängeln und schieben – hier oben hatte ich die Welt für mich allein. Ich setzte mich auf meine Lieblingsbank und genoss den Blick hinüber zum Untersberg. Meine Beine hörten auf zu schmerzen, und ein wohliges Kribbeln machte sich breit. Erleichtert streifte ich die Schuhe ab und ließ sie einfach ins Gras fallen. Ich machte ein bisschen Zehengymnastik, und endlich kehrte wieder ein bisschen Gefühl in meine armen Füße zurück. Dann schloss ich die Augen. Ach, tat das gut, mal einen Moment abzuschalten. Wahrscheinlich war das sowieso viel besser als das spannungsgeladene Werkstattkonzert da unten in der Uni. Sosehr ich es auch genossen hätte, dabei zu sein … Das nächste Mal! Volker konnte mir ja später seine Videoaufnahmen vorspielen. Ich lächelte. Dann würde ich doch noch alles haargenau sehen können! Dass ich daran nicht gedacht hatte!
    Ich träumte ein bisschen von der roten Handtasche. Vielleicht konnte ich sie mir von Volker zum Geburtstag wünschen? Ich könnte Lisa den Tipp geben, dass sie genau das richtige Geschenk wäre! Ja, auf diese Weise käme ich vielleicht doch noch in den Besitz meiner Traumtasche. Wozu hat man denn eine beste Freundin? Sie konnte ihm das doch problemlos stecken! Wahrscheinlich hatte sich ein schelmisches Grinsen auf mein Gesicht geschlichen, denn jemand fasste den dreisten Entschluss, mich einfach anzusprechen. Eine Männerstimme. Unmittelbar hinter mir.
    »Genießen Sie die Ruhe hier oben auch so sehr?«
    »Jetzt nicht mehr!« Ich fuhr herum und sprang auf. Wie aus dem Boden gestampft stand da ein Herr mit hochgekrempelten Hemdsärmeln. Zweitagebart. Das Jackett trug er locker über die Schulter geworfen. Er lächelte mich an und sagte bedauernd: »Oje, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    »Haben Sie aber! Mein Gott, wie können Sie sich nur von hinten so

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