Der Überraschungsmann
»Ich komme auch, wenn ich es irgendwie schaffe. Besorg mir einen Platz in der ersten Reihe – du weißt schon, wegen der Videokamera!«
Volker hatte doch tatsächlich kurz nach Fannys Geburt so ein megamodernes Gerät gekauft, mit dem er jeden Spuckefaden und Köttel in der Windel in Großaufnahme festhielt. Das hatte er bei unseren Töchtern nicht gemacht! Na ja, da war er ja auch noch so im Stress mit seiner Praxis und seiner Exfrau Wiebke gewesen. Jetzt schien er für solche Dinge mehr Muße zu haben. Irgendwie wirkte er in letzter Zeit richtig entspannt. Irgendwie verjüngt. Lisa hatte so was von frischen Wind in unser Haus gebracht!
»Aber ich muss natürlich perfekt vorbereitet sein und alles auswendig können. Ich singe die erste Szene aus Le nozze di Figaro , alles auf Italienisch. Der bringt es fertig und lässt mich das alles erst mal übersetzen, vor all den Leuten … Ich muss nämlich genau wissen, was ich da singe, bevor ich das szenisch anlegen kann.« Lisa warf uns die Tür vor der Nase zu und fing an zu trällern.
Gott, war sie nervös! Ich wiegte Klein Fanny in den Armen, damit sich diese Nervosität nicht auf sie übertrug, und versuchte dann, sie in den Hochstuhl zu setzen. Ihre prallen Beinchen wollten nicht durch die Löcher rutschen, und mein Volker packte mit an. Gemeinsam quetschten wir das runde Dickmadämchen in den Hochstuhl, banden ihr ein Lätzchen um und schoben den Stuhl an den Tisch. Volker rettete noch schnell die Tischdecke, indem er sie vom Tisch nahm und ordentlich zusammenfaltete.
»Du bist so aufmerksam und umsichtig«, sagte ich ergriffen. »Welcher Mann geht so liebevoll mit einem fremden Kind um?«
Er gab dieses kleine Lachen von sich, das ich so an ihm liebte.
»Das Liebevollsein habe ich von dir gelernt, Herzerl.« Lächelnd beugte er sich vor und küsste mich. »Wenn ich da an Wiebke denke, wie frostig die immer war.«
»Lass uns nicht von Wiebke reden.« Ich strich Fannylein über die Löckchen. »Heute gibt es zum ersten Mal Spinat der Marke Spuck und Spei aus dem Gläschen«, erläuterte ich Volker stolz. »Leistest du der Patentante beim Füttern Gesellschaft?«
Aber Volker hatte schon wieder die Autoschlüssel in der Hand. »Wenn du nichts dagegen hast, besorge ich Lisa rasch ein paar DVD s mit Aufnahmen von ›Le nozze di Figaro‹ . Dann überspiele ich ihr jeweils die erste Szene von sämtlichen Inszenierungen, und wir überlassen ihr heute Abend den Breitbildfernseher im Wohnzimmer.«
»Ach, Volker, du bist echt ein Schatz!« Ich lächelte meinen Mann verliebt an und versuchte, ihm zärtlich mit der Hand über die Wange zu streichen.
»Oder willst du heute Abend im Wohnzimmer fernsehen?«, fragte Volker rücksichtsvoll.
»Ich bin sowieso viel zu kaputt zum Fernsehen«, sagte ich seufzend. »Wenn ich Fanny gebadet und ins Bett gebracht habe, kann ich mich gleich dazulegen.«
»Aber nicht einschlafen! Ich habe noch was mit dir vor!«
»Volker!«, rief ich und lachte verlegen, während ich Fanny den Spinat ins Mäulchen schaufelte.
»Bist du damit einverstanden, dass ich mir mit Lisa gemeinsam die Szenen ansehe? Dann weiß ich, wie ich meine Kamera bei der szenischen Probe einstellen soll. Sie hat mich darum gebeten, ihren Auftritt zu filmen – du verstehst schon, die Eitelkeiten eines angehenden Weltstars …« Er stand hinter mir, schlang seine Arme um mich und drückte mir einen Kuss ins Haar. Dann wanderten seine Hände spielerisch zu meinem Busen. »Aber danach komme ich ganz schnell zu meiner Frau ins Bett.«
»Hallo, Sie! Ja, Sie da mit dem Kinderwagen!«
Ich eilte im Schweinsgalopp durch das Foyer der Universität, um noch rechtzeitig zu Lisas Meisterklasse mit Jürgen Flimm zu kommen. Den ganzen Vormittag hatte ich meine Touristen durch die Stadt gehetzt und ihnen keine fünf Minuten Pause gewährt, nur um diesen Termin pünktlich wahrnehmen zu können. Drei komplette Innenstadtführungen in sechs Stunden. Mein Rücken war schweißnass, das Dirndl wies schon peinliche Flecken auf, und meine Schnürschuhe dampften. Aber ich hatte es geschafft!
»Ja?«, sagte ich fragend, legte eine Vollbremsung ein und kam kurz vor der Treppe zum Stehen. Vielleicht wollte der uniformierte junge Mann mir beim Tragen helfen.
»So können Sie da aber nicht hinein!«
Es klingelte. Letzte Besucher, die gerade noch ihre Garderobe abgegeben hatten, hasteten, ihre Karten vorzeigend, hinauf. Niemand machte Anstalten, mir zu helfen.
»Gibt es einen Lift?«
»Ja,
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