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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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schon. Aber mit Kinderwagen können Sie sowieso nicht in den Saal. Außerdem ist er ausverkauft.«
    »Meine Freundin singt heute. Ich habe eine persönliche Einladung.«
    »Aber nicht mit Kinderwagen.«
    »Aber warum denn nicht?«
    »Nachher schreit es dazwischen.«
    »Das Kind schläft doch – schauen Sie mal!«
    »Das ist mir wurscht, ob es jetzt schläft. Nachher wacht es auf und schreit.«
    »Dann verdrücke ich mich auch sofort, versprochen!«
    »Gute Frau!« Inzwischen war der Oberaufseher auf meine lautstarke Diskussion mit dem Saaldiener aufmerksam geworden. »Wo gibt es denn so was, dass man mit Kinderwagen in eine Festspielveranstaltung geht?«
    »Aber ich bin die beste Freundin von einer Meisterschülerin! Schauen Sie! Das hier ist ihr Kind!«
    »Ohne Kinderwagen.«
    »Gut. Dann nehme ich das Kind auf den Arm.« Ich machte bereits Anstalten, die schlafende Fanny aus ihrer Wolldecke zu schälen. Im Parkhaus hatte ich sie auf der Motorhaube noch schnell gefüttert und gewickelt. »Hier, sehen Sie. Es macht keinen Mucks.« Ich warf einen Blick auf die große Wanduhr. Panik ergriff mich: Noch eine Minute, dann gingen da oben die Türen zu!
    Die Uniformierten schüttelten den Kopf. »Ausgeschlossen. Das wird alles vom Fernsehen mitgeschnitten.«
    Ein letztes Mal wurde die Tür von außen aufgerissen und ein eiliger Besucher stürmte ins Foyer.
    Es klingelte zum dritten Mal.
    Ich trat einen Schritt beiseite, um den späten Gast die Treppe hinauflaufen zu lassen. Es war Volker. Wie immer sah er prächtig aus: blütenweißes Hemd und tadellos sitzender Anzug mit Bügelfalte.
    »Oh, Volker, gut, dass du kommst! Die wollen mich hier nicht reinlassen. Bitte fass einfach mit an.«
    Oben aus dem Saal ertönte Beifall. Er brandete förmlich die Treppe hinunter.
    »Das musst du auch verstehen, Herzerl.« Volker nahm zwei Stufen auf einmal. An seinem Handgelenk baumelte die kleine Videokamera. »Die können da unmöglich ein Baby reinlassen.«
    »Aber ich habe mich so auf den Meisterkurs gefreut …« Ich hätte heulen können.
    »Nächstes Mal, Herzerl. Geh mit dem Baby spazieren!«
    Volker schien gerade noch durch die sich schließende Saaltür geschlüpft zu sein, denn gleich darauf hörte man den Beifall nur noch gedämpft. Dann erklangen bereits die ersten Töne. Die Szene der Susanna hatte begonnen. Das war Lisa. Wie oft hatte ich sie genau das üben hören! Jetzt sang der Figaro. Jürgen Flimm ging dazwischen und sagte etwas, alle lachten. Das Publikum klatschte, und ich kam mir plötzlich unglaublich ausgeschlossen vor. Ich wendete den Kinderwagen und eierte unter den schadenfrohen Blicken der Türsteher davon. Sie hielten mir noch nicht mal die Tür auf. Ich ärgerte mich: Da hatte ich mich ganz umsonst so abgehetzt! Dabei hätte ich längst mit dem Baby im Garten sitzen, meine geschwollenen Beine hochlegen und ein bisschen die Augen zumachen können! Das Baby schlief, und wie jede Mutter weiß, sind das kostbarste Minuten! Jetzt musste ich auch noch durch die überfüllte Stadt latschen. Meine Schnürschuhe kamen mir vor wie Folterwerkzeuge.
    Direkt vor dem Café Tomaselli wurde ich schon wieder von einer wildfremden Frau angesprochen.
    »Na, so herzig, das Kind vom Herrn Doktor! Und diese Ähnlichkeit mit Ihren anderen Kindern, Frau Wieser! Wie aus dem Gesicht geschnitten!«
    Und da saß wieder diese Rothaarige. Das war wohl hier ihr Stammcafé. Täuschte ich mich, oder war da der Anflug eines spöttischen Grinsens auf ihrem Gesicht?
    Dabei kämpfte ich doch mit den Tränen! Ich schluckte einen dicken Kloß hinunter und sagte mein Sprüchlein auf: »Das ist nicht unser Kind. Das ist nur unser Patenkind, um das ich mich kümmere, weil seine Mutter Sängerin ist! Gerade singt sie in der Aula der Universität, und ich durfte mit dem Kinderwagen nicht rein!« Flüchtend eilte ich durch die Getreidegasse, bahnte mir einen Weg durch die dort herumstehenden Bummelanten, auf die ich gerade einen richtigen Zorn entwickelte. Die hatten wohl nichts Besseres zu tun, als in die Schaufenster zu glotzen, Hausfassaden zu fotografieren und ihre Zeit in Straßencafés totzuschlagen, während ich mich Tag für Tag abhetzte, um es allen recht zu machen! »Tja«, glaubte ich Leonores Stimme zu hören. »So ist es nun mal, das Leben. Als Frau hat man sich aufzuopfern.« Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken an meine Schwiegermutter zu vertreiben. Im Vorübergehen fiel mein Blick auf eine traumhafte riesige Handtasche aus

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