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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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draußen.
    »Bleiben Sie einfach noch ein bisschen sitzen. Legen Sie das Bein hoch.« Trunkenpolz bettete meinen armen Fuß auf die Bank und legte ein weißes, frisch gebügeltes Stofftaschentuch unter die immer noch blutende Wunde. Auf einmal fand ich ihn richtig nett.
    »Danke«, stammelte ich kleinlaut. Mein Fersenblut tröpfelte auf sein Damastenes. Hoffentlich sagte er jetzt nicht »Dafür nicht«. Ich dachte kurz an Sven. Wenn man sich bei Norddeutschen für etwas bedankt, sagen sie »Dafür nicht«. Dann darf man raten, wofür man sich sonst bedanken soll. Das kann dann ein kurzweiliger Wortwechsel werden!
    »Bitte«, antwortete er schlicht und wischte sich die Hände an seinem inzwischen fleckigen, zerrissenen Hemd ab.
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen Scherereien gemacht habe«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »So können Sie sich nicht in der Stadt blicken lassen.« Was seine einkaufsbummelnde Frau und Tochter wohl dazu sagen würden? Wenn der so vom Mönchsberg runterkam, würde er auf der Stelle verhaftet.
    »Ich wohne da drüben.« Er wies mit einer knappen Kopfbewegung auf das Kloster, das ich ihm gerade erklärt hatte. »Dort kann ich mich gleich umziehen.«
    »Sie wohnen da? Und warum fragen Sie mir dann Löcher in den Bauch?«
    »Weil ich Sie von den Löchern im Fuß ablenken wollte.« Er lächelte mich an. »Alter Indianertrick.«
    »Und … wie ist es da so?«
    »Ich habe schon eine Lieblingsecke im Blumengarten. Der Frühstückssaal erinnert mich an mein Internat, alles ziemlich katholisch und so. Aber die Jungs dort tragen keine Ordenstracht und sind sehr gastfreundlich. Man kann kommen und gehen, wann man will, und hat einen Schlüssel. Außerdem gibt es da einen ziemlich witzigen Pater, der tausend Geschichten vom Mönchsberg kennt.«
    »Echt? Welche denn?«
    »Die vom exzentrischen Dialektdichter Alois Grasmayr beispielsweise. Der wohnte in der Hausnummer 18, diesem seltsamen siebenstöckigen astronomischen Turm da hinten. Besonders gern erschreckte er die Kinder mit einer mumifizierten Hand aus seinem Kuriositätenkabinett und forderte diese sogar auf, das Ding zu küssen.«
    »Ach was!«, entfuhr es mir. Jetzt war ich aber baff. Dieser Trunkenpolz überraschte mich mehr und mehr. Ich hatte ihn komplett unterschätzt.
    »Oder Ernst Kuppelwieser, auch so ein Original. Der verköstigte sich schon vor über sechzig Jahren mit Soja als Fleischersatz und wäre fast daran gestorben. Selten ging er ohne seinen breitrandigen Hut aus dem Haus und hatte meist noch einen riesigen roten Schirm dabei, auf dem ein Messingschild mit der Aufschrift ›Bitte um Rückgabe‹ prangte. «
    Ich rang mir ein anerkennendes Grinsen ab. »Wie spa ßig!«
    »Und schon mal was von der alten Kammersängerin Bianca Bianchi gehört, der sogenannten ›Hundegräfin‹? Die alte Dame liebte es, im geblümten Schlafrock spazieren zu gehen – an der Leine eine ganze Meute verschiedenster Hunde und mit einem Kapuzineräffchen auf der Schulter.«
    »Was Sie nicht sagen!« Jetzt blieb mir aber der Mund offen stehen. Ob Trunkenpolz sich das alles ausdachte, um mich zu unterhalten und von meinen Schmerzen abzulenken?
    »Das haben Sie doch alles irgendwo geklaut!« Jetzt fühlte ich mich gelinde gesagt auf den Arm genommen. Aber er hatte mich immerhin von meinem Kummer abgelenkt.
    Trunkenpolz hielt meine Wade immer noch behutsam in seinen Händen. Er trug keinen Ring. Meine Fantasie von der einkaufenden Frau und Tochter löste sich in Luft auf.
    »Ja. Aus dem Buch ›Salzburg. Auf krummen Touren durch die Stadt‹ von Renate Just. Mich faszinieren einfach die dämmrige Atmosphäre des Mönchsbergs und seine Bewohner.«
    »Aber Sie sind kein Mörder, nein?«
    »Nein. Es reicht mir, wenn ich ab und zu in fremden Frauenfüßen stochern kann.«
    »Na, dann ist es ja gut.«
    »Das Baby ist wach.« Trunkenpolz stand auf und schaute in den Kinderwagen, der inzwischen heftig wackelte. Ein erstes unwilliges Quäken ertönte.
    »Darf ich es rausnehmen?«
    »Ja, bitte. Aber nicht umbringen!«
    Trunkenpolz legte langsam sein Taschenmesser auf die Bank. »Na gut. Weil Sie es sind.«
    Er reichte mir das hungrige Kind und nahm anschließend die Flasche aus dem Kinderwagennetz. »Die hier auch?«
    »Ja, danke. Sie sind mir einer!«, sagte ich kopfschüttelnd, nachdem Fanny friedlich zu saugen und zu schmatzen begonnen hatte. Ich sah ihn grinsend von der Seite an. Der Schmerz ließ endlich ein wenig nach. Meine Angst vor

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