Der Überraschungsmann
ganz großen Weg vor mir habe! Wenn ich nur zielstrebig und fleißig dran bleibe!«
»Der eine Typ war ein Agent aus London«, brummte Volker leise dazwischen. »Der suchte eine Besetzung für die Dings von Puccini … Wie heißt die Rolle, Lisa?«
»Für die Mimi! Stell dir vor Barbara – die Hauptrolle in La Bohème !«
»Wahnsinn! Ach, ich freue mich so!« Aufgeregt tätschelte ich Lisas Hand. »Du machst deinen Weg, Süße, ich wusste es!«
»Stellt euch vor, ich wäre weiter auf dem Schiff geblieben und hätte da vor Touristen rumgeträllert!« Lisa kicherte aufgeregt. »Dann wäre ich nie von den wahren Drahtziehern entdeckt worden!«
»Willst du das Video sehen?« Volker war schon aufge sprungen.
»Ja! Unbedingt! Ich platze vor Spannung!«
Volker steckte die DVD in den Schlitz, und dann schauten wir alle drei Champagner schlürfend die Aufnahme an.
Volker saß nun auch auf der Bettkante. Meine beiden liebsten Menschen hatten mich in die Mitte genommen. Immer wieder spielten sie mir die erste Szene aus dem Figaro vor.
Jürgen Flimm unterbrach, verbesserte, das Publikum lachte, klatschte. Die Kamera folgte unentwegt Lisa. Mit anmutigen Bewegungen schwebte sie förmlich über die Bühne, lag in den Armen des Figaro, der sein Gesicht an ihrer Wange vergrub. Sie sang und tirilierte, flirtete und kokettierte. Meine Lisa bewegte sich wirklich mit einer derart natürlichen Grazie, dass ich nur staunen konnte. Ich selbst würde wie eine Holzpuppe wirken, steif, hölzern, wie aufgezogen! Bei ihr wirkte nichts gespielt. Jetzt probten sie die Szene, in der sie den Figaro ohrfeigt. Mit welchem Temperament sie das tat! Knall! Wusch! Peng!
»Die scheißt sich nix!«, hörte man Jürgen Flimm anerkennend rufen. »Die macht das einfach!«
Der arme Figaro rieb sich immer wieder die schmerzende Wange, und das Publikum lachte sich kaputt.
Lisa schmiegte sich an mich: »Sag ehrlich! Ganz ehrlich! Wie findest du’s?«
»Großartig, wirklich großartig.«
»Ist es nicht zu übertrieben?«
»Nein. Du bist ja so ein … Wirbelwind.«
»Du kannst ruhig auch mal den Kameramann loben!«, brummte Volker, der schon wieder aufgesprungen war, um Champagner nachzuschenken.
»Fantastisch! Ganz professionell! Wie konntest du nur so lange den Arm ruhig halten?«
»Ich habe mir von einem der Fernsehtypen ein Stativ ›geborgt‹.«
Wir kicherten und freuten uns.
»Nein, Wahnsinn, was ich alles verpasst habe!«, sagte ich.
»Warte, jetzt kommt das Finale.«
Andere junge Sänger kamen dazu: die Gräfin – eine etwas Dickliche aus Iowa, der Graf, ein sehr begabter Bariton aus der Ukraine, das dürre, behoste Mädel aus Los Angeles, das den Cherubino darstellte und seinen amerikanischen Akzent nicht loswurde, und natürlich die unvermeidliche Koreanerin. Aber niemand spielte so entzückend und temperamentvoll, so hinreißend natürlich und liebreizend, so … überzeugend wie Lisa. Dann wurde der Applaus des begeisterten Publikums langsam ausgeblendet. Ich applaudierte auch. Wenn auch nur ganz zart und leise, um Fanny nicht zu wecken. Mein Ehering klirrte gegen das Champagnerglas.
»Und jetzt?« Ich stützte den Arm auf und schaute meine beiden Lebensmenschen fragend an. »Gehst du nach London, Lisa?«
»Ja, genau das wollte ich mit dir besprechen …« Lisa sah mich an. »Es wäre halt die Chance meines Lebens. Erst mal für ein Jahr oder so.«
Ich drückte Volkers Hand. »Was meinst du, Volker? Soll sie es tun? Können wir sie in die große weite Welt schicken? Und was wird aus Fanny?«
»Lisa meint, sie kann sich da drüben eine Nanny nehmen.«
»Das kommt ja überhaupt nicht infrage!« Entrüstet setzte ich mich auf. »Spinnt ihr?«
»Ich würde genug verdienen«, sagte Lisa leichthin.
»Die kleine Fanny wird nirgendwohin gezerrt«, entschied ich. »Ihr Zuhause ist hier, sie ist an uns gewöhnt.«
»Vor allem an dich«, pflichtete Volker mir bei.
»Aber kann ich dir das denn überhaupt zumuten?« Lisa strich mir über die Wange. »Ich meine, bei deinem … Gesundheitszustand?«
Ich lachte. »Was für ein Gesundheitszustand?«
Lisas Blick huschte zu Volker hinüber. »Dein Bein und so …?«
»Lisa! Ich habe mir nur eine Scherbe eingetreten!«, sagte ich lachend.
Volker legte seine Stirn in Falten – er schien zu überlegen. »Du wirst in London kaum Zeit für Fanny haben, Lisa«, sagte er. »Wenn du gehst, lass uns die Kleine hier. Ich bin schließlich auch noch da.«
»Aber das kann ich euch doch nicht
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