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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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anschleichen!« Mit diesen Worten ließ ich mich wieder auf die Bank zurückfallen. »Ich glaube, ich war eingenickt.«
    Er warf einen Blick auf den Kinderwagen: »Ihr Baby lässt Sie wohl nachts nicht schlafen, was?«
    »Ähm ja, so ähnlich.«
    Wir schauten beide schweigend ins Tal, ich sitzend und er hinter mir stehend. In Thrillern pflegen solche Begegnungen nicht gut zu enden. Da legen die Kerle plötzlich ihre Hände oder wahlweise eine Kette oder Damenstrumpfhose um die Kehle der Frau.
    »Mich irritiert das irgendwie …«
    »Was?«
    »Dass Sie da so hinter mir stehen!«
    »Oh. Dann setze ich mich lieber … Darf ich?«
    Der Fremde ließ sich neben mir auf die Bank plumpsen. Oh Mann! Konnte der nicht weiterschlendern? Ich wollte doch nur einen Moment meine Ruhe haben! Aber wenn ich jetzt sofort aufsprang, wirkte das auch zickig. Außerdem müsste ich dazu erst meine Schuhe aus dem Gras angeln und dazu auf allen vieren unter die Bank kriechen. Also dann. Saß er halt da. War ja auch eine öffentliche Bank. Und eine öffentliche Richterhöhe. Wenn er da auch so gerne herumsaß wie ich, konnte er ja so ein schlechter Kerl auch wieder nicht sein. Er wirkte wie ein lässiger Intellektueller. Unauffällig schielte ich mit halb geschlossenen Augenlidern zu ihm hinüber. Bestimmt ein Tourist, der keine Lust mehr hatte, seine Frau und Tochter beim Einkaufsbummel zu begleiten. In einer Stunde war der sicher mit ihnen im Eiscafé verabredet. Dann würde er seine Hemdsärmel wieder herunterkrempeln und sein Jackett wieder anziehen. Warum sollte mich der Kerl auch anmachen wollen, wo ich doch eine übernächtigte, überforderte Spätgebärende war?
    Wir schwiegen. Ich verzichtete allerdings darauf, weiterhin die Augen zu schließen. Man konnte ja nie wissen.
    Schließlich durchbrach der Fremde erneut die wohltuende Stille: »Wissen Sie, warum das Monatsschlössl da hinten am Ende der Hellbrunner Allee Monatsschlössl heißt?«
    »Ja«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Möchten Sie die offizielle Version hören oder die Wahrheit?«
    »Beides.«
    »Nach der offiziellen Version wurde es in nur einem Monat errichtet.«
    »Das stimmt aber nicht.«
    »Nein. Der Fürstbischof Markus Sittikus war ein lebensfroher Bursche. Nicht umsonst ließ er Hellbrunn als Lustschloss erbauen. Na ja, und das Monatsschlössl …« Ich warf einen kurzen Seitenblick zu meinem Banknachbarn hinüber, überlegte, ob ich ihm die nackte Wahrheit zumuten konnte, fuhr aber dann fort: » … dorthin schickte er diejenigen Geliebten, die gerade ihre Tage hatten, bis er sie wieder gebrauchen konnte.«
    »Donnerwetter!«, sagte der Mann. »Da weiß ja jemand Bescheid. Und ich hatte gedacht, ich könnte Sie beeindrucken.« Oh. Offensichtlich war er doch kein Tourist.
    »Sie können es ja noch mal versuchen.« Jetzt grinste ich doch kurz rüber.
    »Gern. Wissen Sie, was es mit dem Steintheater dort auf sich hat?«
    »Die offizielle Version oder die Wahrheit?«
    »Offiziell wurde dort die erste Oper auf europäischem Boden aufgeführt«, sagte der Mann. » L’Orfeo von Monteverdi.«
    »Ja, aber nicht nur.« Mir begann die Unterhaltung Spaß zu machen. »Es gibt auch eine unanständige Version.«
    »Nämlich?«
    »Markus Sittikus ließ seine Lustknaben dort zwischen den Felsklüften mit verbundenen Augen gegen Schweine und Federvieh kämpfen und ergötzte sich mit seinen Kumpanen an dem blutigen Gemetzel.«
    »Na, was Sie alles wissen!«
    Jetzt musste ich grinsen. »Ich bin Stadtführerin«, gab ich bescheiden zu.
    »Aber diese Versionen erzählen Sie auch nicht jedem?«
    »Natürlich nicht. Aber Sie wollten es ja ganz genau wissen!«
    »Stadtführerin in Salzburg«, sagte der Fremde gedehnt. »Ein Traumjob! Ich beneide Sie.«
    Ich massierte mir die Fußknöchel. »Ja, es ist schon herrlich, Menschen aus aller Welt durch meine Lieblingsstadt führen zu können.«
    Der Mann schenkte mir ein freundliches, interessiertes Lächeln. »Dann können Sie mir bestimmt mehr über die Stadt erzählen als ich Ihnen!«
    Was wollte DER MIR denn über Salzburg erzählen? Ich hatte eine dreijährige Ausbildung absolviert und konnte jedes einzelne Ornament in jeder Kirche anmoderieren.
    »Das kostet aber was«, sagte ich und gähnte müde.
    »Schade!«, sagte der Mann. »Ich habe gerade leider kein Geld dabei.«
    »Das sollte auch nur ein Scherz sein.«
    »Würden Sie das denn sonst machen?«
    »Was?«
    »Mich durch die Stadt führen.« Der Fremde legte den Arm auf die

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