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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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weiterer Folterung auch.
    »Ich bin ein völlig harmloser Seminarteilgeber«, verteidigte sich Trunkenpolz. »Wir hatten gerade Pause da drüben im Johannisschlössl, und da habe ich mir ein bisschen die Beine vertreten.«
    Teilgeber. Aha. Voll der alternative Durchgeistigte.
    »Dann müssten Sie bestimmt längst zurück sein?!«
    »Eigentlich ja. Zumal ich der Seminarleiter bin.«
    »Und das sagen Sie erst JETZT ?«
    »Na ja, vorher haben Sie ja so geschrien, dass ich nicht zu Wort kam.«
    »Sie und nicht zu Wort kommen? Sie haben mir ganze Ammenmärchen erzählt!«
    »Aber nur, um Sie abzulenken.«
    »Wie heißt das Seminar? Ich meine, worum geht es dabei?«
    »Charakter und Charisma.«
    »Ach«, meinte ich und winkte ab. »Das habe ich beides nicht.«
    »Fishing for compliments?« Er schenkte mir ein fast enttäuschtes Lächeln.
    »Sie müssen gehen!«
    »Kommen Sie allein zurecht?«
    »Ja, natürlich!«
    »Schaffen Sie es bis zum Aufzug?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Warten Sie. Ich binde Ihnen noch das Taschentuch um den Fuß.« Trunkenpolz machte sich schon wieder an mir zu schaffen. »Das können Sie mir bei Gelegenheit zurückgeben. Oder behalten. Als Andenken.«
    Damit stand er auf und klopfte sich die Hosenbeine ab, was allerdings auch nicht viel half. Der Vortragende des Seminars »Charakter und Charisma« sah aus wie ein Triebtäter. Dabei war er ein Geistlicher in Zivil! Und ich hatte ihm von den Unsittlichkeiten seines Standes erzählt!
    Er reichte mir die Hand: »War nett, Sie kennen zu lernen.«
    »Gleichfalls«, sagte ich. »Passen Sie auf, dass Sie nicht verhaftet werden.«
    Pater Trunkenpolz stapfte davon, die Hände in den Taschen vergraben. Die Ärmel seines Jacketts flatterten im Wind, fast so, als würden sie mir winken.
    Ich sah ihm lange nach. Irgendwann erhob ich mich und humpelte auf einer Ferse davon. Meine mehrmaligen Versuche, Volker zu erreichen, scheiterten. Es meldete sich nur die Mailbox. Morgen würde ich mich fragen, ob ich die ganze Begegnung nur geträumt hatte.

15
    Da bist du ja endlich! Wo warst du denn?«
    »Ein bisschen spazieren, wie du gesagt hast!«
    »Aber doch nicht so lange! Wir haben das ganze Haus voller Gäste!«
    Volker kam mir in der Einfahrt entgegen. Er hatte zwei Flaschen Champagner in jeder Hand. »Meine Güte, du humpelst ja! Was ist denn passiert?«
    »Ich hab mir eine Scherbe eingetreten.« Rückwärts bugsierte ich den Kinderwagen durch das Gartentor und humpelte mühsam auf Trunkenpolzens blutdurchtränktem Ärmel meinem Gatten entgegen. Zugegeben: Sehr vorzeigbar sah ich nicht gerade aus. Ich sah mich um. Überall standen schicke chromblinkende Wagen in der Einfahrt herum.
    Hastig stellte Volker die Flaschen auf eine Kühlerhaube: »Das sieht ja übel aus!«
    »Geht schon wieder.«
    »Wer hat dich denn da so stümperhaft verbunden?« Volker stützte mich und half mir die Treppe hinauf. Aus dem Wohnzimmer ertönten Stimmengewirr, Gläserklirren, Gelächter.
    »Ist Lisa da?«
    »Ja, klar. Sie hat das Stipendium bekommen! Da sitzen Interessenten, die sie auf der Stelle engagieren wollen! Einer aus London ist ganz scharf auf sie!«
    »Das ist ja Spitze!«
    Volker drückte mich an sich, und ich kuschelte mich an seine Brust, spürte, wie sein Herz an meiner Haut schlug. Zum ersten Mal wünschte ich mir die ganze Bagage samt Lisa weit weg. »Ich dachte nur, sie könnte sich zur Abwechslung wieder um das Baby kümmern?«
    »Nicht jetzt! Die müssen von dem Baby gar nichts wissen …« Volker eilte zurück und hob den Kinderwagen über die Eingangsstufen. »Es ist besser für Lisa, wenn sie kein Kind hat. Warte, wir lassen Fanny im Vorhaus stehen.«
    »Du willst das Baby im Vorhaus …?«
    »Schläft doch!«
    Volker schob schnell den Kinderwagen hinein und schloss hastig die Tür. Dann half er mir die Treppe zum Schlafzimmer hoch.
    Auf der Tagesdecke unseres Bettes lag Lisas seidenes Tuch, das sie über ihrem Abendkleid getragen hatte.
    »Vorsicht! Nicht darauf bluten!«
    Volker eilte ins anliegende Bad und kam mit einem Handtuch, mit Desinfektionsmittel und Tupfern wieder. Dann kümmerte er sich um meinen Fuß.
    »Das ist ja ein Männerhemdsärmel!«
    »Ja, da war so ein Geistlicher vom Pallottinerkloster, der hat mir Erste Hilfe geleistet.«
    »Hm. Gar nicht so schlecht. Tut mir leid, dass du dir wehgetan hast. Wie konnte das denn passieren?« Volker presste und säuberte, und ich krümmte mich wieder mal vor Schmerzen.
    Volker musterte mein Gesicht. »Hast du

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