Der übersehene Mann: Roman
zum Frühstück hab ich nich bestellt, wegen meiner Diät, du weißt schon. Aber das Abendessen, selbst der Papst in Rom kriegt nichts Besseres.«
»Himmel noch mal. Wirklich?« Rose sah ihn neugierig an.
»Ja, wir hatten so ’ne Pastete, aus der ein Würstchen rausguckt«, sagte er. »Und dann diesen Nachtisch, so ’n Ding mit Rosinen wie ein Brotpudding, so die Art. Mit Vanillesauce, aber weißte was, Rose, sie war ein bisschen auf der wässrigen Seite, nich so gut wie deine.«
»Ach, hör schon auf!« Sie lächelte angetan und schwoll bei dem Kompliment wie ein Luftballon auf einer Ätherpumpe. »Du bist ja bald in dem anderen großartigen Hotel, wo du deine Dame triffst. Wie heißt es noch mal?«
Jamie stellte den Becher ab und fischte den Brief aus der Innentasche.
»Wart mal, gleich hab ichs.« Er strich den Brief glatt. »Royal Neptune Hotel. Hört sich auch nach was Großem an, finde ich.«
»Das isses auch, das kann ich dir sagen, mein Paddy und ich waren nämlich mal auf ’ner Hochzeit da, auf der von Brigid Maryann Mulgrew, also von Biddy Maryann. Vor acht Jahren oder so.« Rose nahm Fahrt auf und wollte Jamie mit in einen reißenden Strom verdrehter Erinnerungen nehmen.
»Sie war verwitwet, denn der erste Mann von ihr, der Dinny, der is eines Nachts auf dem Heimweg von Stutterin’ Joe McSweenys Kneipe in ’nen Graben gefallen und sie haben ihn nich vorm Morgen gefunden, da war er starr und steif, da hat er sich totgefroren. Na ja, Biddy Maryann sieht nich gerade gut aus, Jamie, und nich nur das, sie is auch schlampig wie nix, faul und schmuddelig isse. Die Sorte, die ’ne Schaufel Dung auf den Tisch schmeißt, um die Fliegen vonner Butter wegzulocken, wie man so schön sagt. Aber sie hatte ’n bisschen Land. Und weißte, als sie das zweite Mal geheiratet hat, war das schon ein Wunder, denn dieser Dinny, der hat das ganze Land versoffen, das se mitgebracht hat. Also, der neue Mann, der hieß Cellastine Monroe. Keine Ahnung, wo se den geangelt hatte.« Sie biss den Faden von der smaragdgrünen Wolle ab.
»Jedenfalls hat er jetzt an ihrer Angel gezappelt«, sagte Jamie, denn er wollte, dass Rose wieder auf das Royal Neptune Hotel zu sprechen kam.
Rose warf den Kopf zurück und lachte. »Das war ein guter, Jamie. ›Zappelte anner Angel‹ is gut, aber was wollte ich gerade ...«
»Und was habt ihr im Royal Neptune Hotel gegessen, Rose?«
Rose trank noch etwas Tee, um für eine weitere Geschichte über ihr Lieblingsthema gerüstet zu sein.
»Ich wollte gerade drauf kommen, Jamie. Ich weiß nämlich noch, dass das Essen richtig gut war. Es gab Leber und Schinkenbraten und gestampfte Steckrübe mit Sauce.«
»O Gott!« Jamie nahm sich noch ein Stück Kuchen. »Gestampfte was?«
»Steckrübe, Jamie. So eine Mischung aus Kartoffel und Kohlrübe. Du magst doch Rüben, oder?«
»Nee, mochte ich noch nie, Rose.« Er starrte zu Boden, die Erinnerung an das erlittene Unrecht drohte ihn zu überwältigen.
»Und zum Nachtisch irischen Pudding. Aber der hat meim Paddy nich geschmeckt, das weiß ich noch. Wir ham so’n klebrigen Schichtpudding aus Toffee und Whiskeykuchen gekriegt, mit einem Hauch von Minze und gerösteten Nüssen. Und weißte was, der war wunderbar. Kennste das Geheimnis von gutem Schichtpudding, Jamie?«
Rose unterbrach sich, um noch etwas Tee zu trinken, ihr Busen geriet vor Aufregung in Wallung.
»Nee?« sagte Jamie in die Pause hinein, da er den Unterschied zwischen einer rhetorischen und einer echten Frage nie verstanden hatte.
»Das ist der Biskuitteig, Jamie. Ich mache ihn immer selbst, wie es jede Frau, die etwas auf sich hält, tun sollte, und ich hoffe doch sehr, dass diese Dame, die du bald kennenlernst, Mürbeteig von Blätterteig unterscheiden kann und weiß, wie man einen ordentlichen Victoria Biskuitkuchen herstellt, denn wenn se das nich weiß, kann es nur bedeuten, dass ihre Mutter es ihr nich richtig gelernt hat. Das erste, was ich meiner Marion beigebracht habe, als sie aus den Windeln war, war, wie man einen vernünftigen Biskuitkuchen bäckt.«
Rose und Paddy sprachen nicht oft von ihrer Tochter. Sie hatte sie schwer enttäuscht, als sie einen trinkenden Teppichverleger aus Muff geheiratet hatte, von dem man sich erzählte, dass man sich nur in den sechs Fastenwochen vor Ostern darauf verlassen konnte, dass Seamus einem den Teppich gerade verlegte, weil er dann seiner Leber eine Pause gönnte.
»Um welche Uhrzeit triffst du diese Dame denn?«, fragte
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