Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
befinden, Sie ihn doch aufsuchen mögen, unseren Freund Bobeck.«
    »Ach was. Meint der Mann vielleicht, ich könnte meinen lahmen Hintern in Bewegung setzen und der guten, alten Zeiten wegen bei ihm vorbeisehen. Und wo, bitte schön, soll ich ihn treffen?«
    »Am Einstieg zum Fegefeuer«, berichtete Marzell.
    »O nein!« stöhnte Reisiger.
    »Doch, doch«, sagte der Pfarrer. »Dabei hat Bobeck Surius zitiert, welcher erklärt, Gott wollte derartige Orte, damit die Sterblichen unzweifelhaft von der Existenz solcher Strafen nach dem Tod erführen und also den Herrn recht fürchten lernten.«
    »Ein Krater?« interpretierte Reisiger. »Soll ich glauben, Bobeck würde sich am Rande eines Kraters verstecken?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob er eine natürliche Öffnung meint. Er hat sich leider sehr rätselhaft ausgedrückt. Ich denke, er will, daß man ihn findet, daß endlich alles ein Ende hat. Aber er will es eben nur mit halbem Herzen.«
    Reisiger wurde ungeduldig. »Also los, reden Sie.«
    »Bobeck läßt ausrichten, er würde auf dem Saturn hocken und Spaghetti kochen. Ich denke, ich habe der Polizei nicht viel verheimlicht, indem ich das ausließ. Nicht wahr?«
    »Kann man wohl sagen. Was soll man damit anfangen? Saturn? Spaghetti? Ein bißchen sehr unkonkret.«
    »Er hat sich geweigert, deutlicher zu werden. Er möchte, daß Sie ihn finden. Aber er möchte wohl, daß Sie sich anstrengen.«
    »Er kann mich mal. Ich sehe mir jetzt die Welt an, lass’ die Dinge peu à peu an mich herankommen und werde mit Sicherheit nicht beginnen, über die Verbindung zwischen einem Planeten und einer italienischen Teigware nachzudenken.«
    »Verständlich«, sagte Pfarrer Marzell. »Saturn kann ja eine Menge bedeuten. Saturn, der Erntegott. Aber natürlich auch der Stern der Melancholiker, was wohl eher zur Pforte einer Hölle paßt. Wieso aber Spaghetti? Meint er die Ringe des Saturns? Hunderttausend Ringe, wie man heute weiß. Ein Topf wohlgeordneter, ringförmig angelegter Nudeln? Hunderttausend Nudeln.«
    »Hören Sie auf, Herr Pfarrer. Ich will nichts mehr davon hören. Sie sollten, unverständlich hin oder her, der Polizei davon berichten.«
    »Das ist Ihre Sache. Die Information ist für Sie gedacht. Sie müssen entscheiden, wie Sie vorgehen wollen.«
    »In den Müll damit«, bestimmte Reisiger, wünschte Marzell einen schönen Abend und legte auf. Er blieb noch eine viertel Stunde in der Telefonkabine, von niemand bedrängt, und genoß seinen Gin. Einen Bols . Wenn möglich trank er nur diese eine Marke, Dry Gin. Der Fotografie wegen, die in Reisigers kleiner Lowry-Biographie abgebildet war. Er hatte das Büchlein zusammen mit dem Vulkan in einem kleinen Antiquariat in Rom entdeckt, um jetzt auch einmal etwas Gutes über diese Stadt zu sagen. Beide Bände waren deutschsprachig, was ja zunächst der einzige und auch ziemlich lächerliche Grund dafür gewesen war, überhaupt etwas in dem Laden zu kaufen, als würde man sich ein bestimmtes Pferd anschaffen, bloß weil es zufälligerweise den Namen der eigenen Urgroßmutter trägt. Auf diesem Foto sieht man Lowry 1953 im kanadischen Dollarton vor seiner Holzhütte stehend. Er grinst. Er grinst, als balanciere er Nägel zwischen den Lippen. Oder spitze Käfer. Der Gürtel, der die hochgeschobene Hose stützt, scheint den ganzen Mann zusammenzuhalten, zuerst den Unterleib des Mannes und mittels des Unterleibes auch den Rest. In seiner Linken hält Lowry ein Buch, in der Rechten – merkwürdig sachte, als umfasse er den Hals eines noch lebenden Huhns – eine Flasche Gin, Bols eben.
    Da nun Reisiger eine Affenliebe zu diesem im Ginmeer untergetauchten Autor entwickelt hatte, eine Liebe für seine Literatur nicht weniger als für seine Person, sein dunkles Glück und helles Unglück, glaubte er sich verpflichtet, wann immer möglich, diese eine Marke zu bestellen. Nur auf Grund der Fotografie, die für Reisiger die Qualität eines Heiligenbildchens besaß. Lowry war sein Christus geworden. Und auch so war es zu verstehen, daß Reisiger seine Trinkerei unter Kontrolle hielt, den Exzeß vermied und seine kleinen Einbrüche auf weichen Wellen vornahm, eben ganz im Unterschied zu Lowry und seinem Vulkan-Helden Geoffrey Firmin. Schließlich wäre Reisiger auch nicht auf die anmaßende Idee gekommen, trotz gelebten Christentums einen Märtyrertod am Kreuz sterben zu wollen.
    Die Reise wurde fortgesetzt. Am liebsten saß Reisiger im Flugzeug, immer eine Flasche Bols bei sich. Was

Weitere Kostenlose Bücher