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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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nicht?«
    »Nein, Herr Reisiger. Kein Meteorit. Wo sind Sie überhaupt?«
    »Gaziantop. Südöstlicher Taurus.«
    »Klingt abenteuerlich.«
    »Na ja, keine Bäume weit und breit und ziemlich heiß.«
    »Bei uns ist es kalt«, sagte Marzell, »ein kalter Sommer. Und nirgends ein Meteorit, der uns einheizen könnte.«
    »Das war nur so ein Gefühl«, meinte Reisiger betreten.
    »Jedenfalls verblüffend«, sagte Marzell, »daß Sie gerade jetzt anrufen. Es ist keine zwei Stunden her, da war ein alter Bekannter von uns beiden in der Leitung.«
    »Sagen Sie nicht …«
    »Ja, der gute Siem Bobeck. Keine Ahnung, von wo aus er angerufen hat. Das wollte er mir nun lieber nicht sagen. Auch hat er gemeint, er wäre sinnlos, den Anruf zurückverfolgen zu wollen. Keine Chance, er wisse ja ganz gut, daß er vorsichtig sein müsse.«
    »Umso erstaunlicher, daß er überhaupt angerufen hat.«
    »Das sagte ich ihm auch. Da hat er gemeint, es sei ihm ein großes Bedürfnis, sich bei mir zu entschuldigen. Er denke gerne an unsere Gespräche zurück. Purbach fehle ihm. Vor allem die Kirche, deren Renovierung ihm so am Herzen gelegen war. Auch sei ihm ganz schrecklich zumute, wenn er an diese eine Nacht denke. Nicht wegen seiner Frau, nicht wegen seiner Assistentin. Der Tod der beiden berühre ihn nicht. Natürlich, er habe ein Verbrechen begangen. Doch das wirkliche Verbrechen bestehe darin, daß er mich, ja, und auch Sie, Reisiger, mit hineingezogen habe. Gezwungenermaßen zwar, immerhin habe er raschest handeln müsse, nichtsdestoweniger belaste ihn das. Und obgleich natürlich das Überleben einiger Personen seinen Plan zunichte gemacht habe, könne er sagen, daß in meinem und Ihrem Fall wenigstens die richtigen Leute davongekommen wären.«
    »Ich sitze im Rollstuhl« erinnerte Reisiger, ohne Wut, aber das Bild der Idylle ein wenig zurechtrückend.
    »Ja, davon hat Bobeck auch gesprochen und wie sehr ihn dieser Umstand schmerzt.«
    »Zu gütig.«
    »Auch scheint er zu wissen, daß Sie sich auf einer Weltreise befinden.«
    »Woher?«
    »Keine Ahnung. Er weiß es eben. Und hat mich gebeten, Ihnen beizeiten auszurichten, daß er keine Sekunde vergißt, wie sehr er in Ihrer Schuld steht.«
    »Der Kerl soll sich zum Teufel scheren.«
    »Ich sagte ihm, daß Sie es wohl so sehen würden. Aber er hat nicht locker gelassen. Und läßt ausrichten, Ihnen gerne einmal wieder begegnen zu wollen. Überzeugt davon, daß Sie nicht der Mann sind, der mit der Polizei antanzt.«
    »Aha, glaubt er das.«
    »Na ja, wenn man bedenkt, daß Sie sich höchstpersönlich mit Fred Semper angelegt haben, wo doch jedermann auf dem Monopol der Exekutive bestanden hätte.«
    »Wie wir da in diesem brennenden Turm eingesperrt waren«, bemerkte Reisiger, »hätte ich jede Polizei der Welt um Hilfe gebeten.«
    Erst jetzt, so viel später, wurde Reisiger bewußt, daß keiner der Menschen, die damals in der Sternwarte gefangen gewesen waren, über ein Handy verfügt hatte, um etwa die Polizei um Hilfe zu rufen. Zumindest war niemand auf die Idee gekommen, ein solches zu benutzen. Ungewöhnlich. Wenngleich allerdings die verzweifelten Bemühungen der Hundertfünfzig zeigten, wie wenig dies wahrscheinlich gefruchtet hätte.
    Und weil dies nun gerade der Moment des Erkennens von Widersprüchen war, fiel Reisiger ein, daß Tom Pliska damals, als man sich das erste Mal begegnet war, von Siem Bobecks Gleichgewichtsstörungen gesprochen hatte. Davon, daß Bobeck kaum in der Lage sei, gerade durch einen Raum zu marschieren.
    Nun, das war nicht der Fall gewesen. Bobeck war ganz ausgezeichnet auf seinen beiden Beinen gestanden. Und stand noch immer. Reisiger aber hatte bis zum heutigen Tag gebraucht, seiner eigenen Beinkraft längst beraubt, um sich an Pliskas Äußerung zu erinnern. Komisch, was man alles vergaß und alles übersah.
    »Was soll ich sagen?« meinte Marzell. »Bobeck vertraut Ihnen, so wie er mir vertraut.«
    »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« fragte Reisiger.
    »Selbstverständlich. Er hat ja nicht etwa eine ordnungsgemäße Beichte abgelegt, die mich zum Schweigen verpflichtet hätte. Nicht, daß ich ihm etwas nachtrage. Es wäre kindisch, die Sache persönlich zu nehmen. Andererseits kann ich es mir nicht erlauben, ihn auch noch zu decken. In einem Punkt habe ich mich allerdings zurückgehalten.«
    »Wobei zurückgehalten?«
    »Nun ja, Bobeck hat darauf bestanden … nun, ich soll Ihnen ausrichten, daß wenn Sie sich schon mal auf einer Weltreise

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