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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zu stören. Es kam Leo vor, als würde der Sinn dieser Art von Reiterei darin gipfeln, ein Bild zu erhalten. Kein Pferd ohne Reiter, da ein Pferderennen ohne Reiter in die Komik eines Wettlaufs unter Windhunden abgeglitten wäre.
    Natürlich sagte er das nicht. Er war der letzte, der von solchen Dingen eine Ahnung besaß. Er war hier der Papa von Robert Reisiger, einem der besten Jockeys des Landes, der zweimal den Melbourne Cup gewonnen hatte und einen exklusiven Reitclub besaß, in dem eine Menge Leute versuchten, nur darum ein wenig Deutsch zu sprechen, um dem Besitzer eine Freude zu bereiten. Welcher wiederum mit keinem Wort erwähnte, daß eben jene Freude sich in Grenzen hielt. Was nicht weiter schlimm war. Roberts Leben schien eine schöne, gepflegte Bahn darzustellen, nicht anders als die Rennstrecken, die er auf den Rücken seiner Pferde absolvierte.
    Wozu es nicht unbedingt einer Frau bedurfte. Auch war das nicht das Thema, das Leo und Babett ansprachen. Sie gehörten nicht zu den Eltern, die sich nach Enkeln sehnten. Und vor allem Leo war der letzte, der meinte, das wahre Glück des Menschen liege in einer Ehe begraben.
    Umgekehrt machte Robert nicht die geringste Bemerkung bezüglich der Trinkerei seines Vaters, wenngleich dies natürlich jedermann auffiel. So sehr Leo Reisiger sein Maß beibehielt, schien er dennoch mit seinem Glas verwachsen. Er gab es kaum mehr aus der Hand. Gemeint ist ein ganz bestimmtes Glas, ein einfacher, kleiner, mehreckiger Becher, den er in dem Hotel in Gaziantop hatte mitgehen lassen und der in seiner Rechten lag wie ein Kind in einem elterlichen Schoß.
    Eine Woche genügte. Nicht, daß auch nur ein ungutes Wort gefallen wäre. Gar nichts fiel. Leo drückte es gegenüber Babett so aus: »Diese Leute, die mit Pferden zu tun haben, kann man nicht verstehen, wenn man nicht selbst hin und wieder auf einem Pferd sitzt. Zumindest auf eines wettet. Was mir nicht im Traum einfallen würde, auf ein Tier zu setzen, das man zwingt, einen Menschen zu tragen. Und sei’s mein Sohn.«
    Die Eltern küßten diesen Sohn auf beide Backen, versprachen irgendwann wieder zu kommen und flogen hinüber zur Südspitze Südamerikas, zwischenzeitlich mit jener Gelassenheit, mit der man das Wirtshaus wechselt. Allerdings auch ein wenig mit der Müdigkeit behaftet, die der pausenlose Besuch verschiedener Wirtshäuser mit sich bringt. Sie durchquerten den amerikanischen Kontinent, als schritten sie durch einen Traum, ohne mit den Dingen wirklich in Berührung zu treten. Alles wie hinter einer Scheibe wahrnehmend, die einem das Schreckliche wie das Schöne letztendlich vom Leib hält. Was sicherlich die beste Art ist, diesen verwunschenen Kontinent zu begehen, diesen Planeten im Planeten, der wie ein zweiter, unnatürlicher Kopf aus dem Bauch der Erde herauswächst.
    Ihre Reise durch die USA war nicht anders, als wenn sie von Köln nach Düsseldorf gefahren wären und dabei einige unnötige Pausen eingelegt hätten. Das eigentliche Ziel war Vancouver, wo ihre Tochter Susanna lebte, die übrigens niemals Susi oder Suse oder so geheißen hatte, immer nur Susanna. Sie war großgewachsen wie ihr Vater und hatte nie ein Pferd auch nur berührt. Es stellte eine deutliche, eigentlich abgeschmackte Ironie des Schicksals dar, daß ihr Verlobter, ein Mann, der wie ein später, gepflegter Punker aussah und im kanadischen Fernsehen die Kulturnachrichten sprach, daß dieser Mann Daniel hieß, also gleichlautend wie jener junge Prophet, der die biblische »Susanna im Bade« vor dem Tode bewahrt hatte, indem er die beiden Ältesten der Lüge überführte.
    »Netter Zufall«, sagte Leo.
    »Ach weißt du«, erklärte die Tochter ernsthaft, »ich fand nicht unbedingt, daß das gegen ihn spricht.«
    »Aber warum denn eine Verlobung?«
    »Weil es sich gehört. Der Würde wegen, des Anstands wegen. Ich mag nicht Händchen haltend mit einem Mann im Restaurant sitzen, mit dem ich nicht zumindest verlobt bin. Aber so was kannst du nicht verstehen.«
    »Nein«, gestand Reisiger. Immerhin ging er nicht soweit, sich zu fragen, was er bei seinem Kind falsch gemacht hatte. Für so unanständig hielt er es nun auch wieder nicht, sich zu verloben. Nur ein bißchen abgedreht. Obwohl er als Katholik eigentlich Verständnis hätte haben müssen. Aber das war nicht der Katholizismus, den er meinte. In seinem spielte der Teufel eine Rolle. Nicht die Ehe. Nicht die ordnungsgemäße Introduktion zu einer weißen Hochzeit.
    Susannas Verlobter

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