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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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anmutenden, schneeweißen Schiffes, bei dessen Taufe man wohl kaum an einen Saturnmond gedacht hatte, verspürte Reisiger eine gewisse Beklemmung. Er gehörte zu den Leuten, die hinter solchen Zufälligkeiten Warnschilder zu entdecken meinten. Unklare Warnschilder freilich, die dieses oder jenes bedeuten konnten, deren grundsätzliche Botschaft aber zweifelsfrei in die Richtung ging, besser etwas zu unterlassen, als es zu tun. Also ein Gebäude nicht zu betreten oder es nicht zu verlassen, einen Menschen nicht zu küssen, einen Vertrag nicht unterschreiben. Oder eben ein Schiff zu meiden.
    Reisiger scheiterte in der üblichen Weise. Er scheiterte an der Konvention, an der eigenen Gebundenheit an ein normales Verhalten. Ganz klar, er wollte nicht hysterisch sein. Es ging nicht an, ein Schiff nur deshalb nicht zu betreten, weil es den Namen eines Saturnmondes trug. Einen Lottoschein verbrennen war etwas anderes. Der Lottoschein an sich – einer, der einen teuflisch hohen Gewinn versprach – stand außerhalb des Normalen. Nicht aber ein Schiff, so riesig es auch sein mochte. So teuer die Kabinen. So exaltiert das Personal. Ein Schiff war ein Schiff, es konnte maximal untergehen. Ohne daß ein Teufel sich darum hätte kümmern müssen.
    Aber wie sicher war das? Reisiger rollte mit einem dunklen Gefühl und einer sprach- und bildlosen Ahnung an Bord. Die Suite erwies sich als verschwenderisch großer Raum, mit einem Bett, auf dem sich Nilpferde hätten paaren können. Sie verfügte über einen Schreibtisch für Romanciers und einen Einbauschrank für Leute, die dreimal täglich die Garderobe wechselten. Und sie führte hinaus auf einen Balkon, von dem aus das Meer weit übersichtlicher anmutete, als man das gewohnt war. Als befinde sich auch dieses Meer im Besitz der Reederei.

Enten
    Als Leo und Babett am ersten Abend das Restaurant betraten, empfing sie ein Steward, der sich mit einem punzierten Lächeln ihren Namen nennen ließ. Mit einem Gang, als schreite er über glühenden Kaviar, führte er sie an einen sechsstühligen Tisch, an dem bereits zwei Paare saßen. Leute Mitte Sechzig, Amerikaner, Freunde des Europäischen. Wie sich bald herausstellte wirkliche Freunde, deren Begeisterung für den alten Kontinent ohne den Vorwurf der Trägheit, der militärischen Abstinenz oder politischer Schwermut auskam. Nicht, daß sie die ganze Zeit von Tintoretto oder so was sprachen. Ihre Zuneigung zu Europa war vergleichbar mit jener, die Reisiger für den Hund Vier empfunden hatte. Der Umstand der Dreibeinigkeit mußte ja nicht unbedingt zu Mitleid führen, wenn ein Dreibeiner so würdevoll daherschritt, so voll mit den Geschichten seines Lebens, wie das Vier getan hatte. Auch Europa war ein Dreibeiner, lädiert, jedoch stolz und anmutig. Zumindest war das die Ansicht dieser beiden amerikanischen Ehepaare.
    Nach der Suppe, die Leo ausgelassen hatte, um ein Glas Gin zu konsumieren, wie man zwar eine Hürde nimmt, aber tief in den Wassergraben springt, erschien der Steward von vorher. Das Punzierte in seinem Gesicht hatte sich aufgelöst, er zeigte sich untröstlich. Ein Fehler sei unterlaufen, der seinen Grund darin habe, daß man die eintretenden Gäste neuerdings nicht mehr nach den Zimmernummern frage, sondern nach den Namen, was weniger praktisch sei, aber viel eher dem Stil des Hauses entspreche. So habe es nun aber geschehen können, daß er das Ehepaar Reisiger mit einem Ehepaar Rei singer verwechselt habe und somit auch die Zuordnung zu den Tischen unrichtig erfolgt sei. Ein einziges kleines n habe dieses peinliche Durcheinander verursacht. Es täte ihm unendlich leid, aber er müsse darum bitten, einen Tausch der Sitzplätze vorzunehmen.
    Bei alldem hatte er merkwürdigerweise nicht so sehr Babett und Leo angesehen, sondern einen von den Amerikanern, gerade so, als sei dieser es, bei dem sich der Steward für seine Unachtsamkeit tausendmal zu entschuldigen habe. Und genau dieser Amerikaner war es nun auch, welcher mit einer Stimme, die etwas von einem dicken Stapel alter Magazine besaß, erklärte, es komme gar nicht in Frage, daß man Herrn und Frau Reisiger von diesem Tisch wegscheuche.
    »Wegscheuchen? Pardon, Mr. Lichfield, ich hatte nicht im Sinn, jemand … wegzuscheuchen, ich dachte nur …«
    »Was dachten Sie, daß Leute, bloß weil sie ein n mehr in ihrem Namen tragen, besser hierher passen. Wollen Sie mich auch woanders hinsetzen, weil demnächst irgendwelche Litch fields bei der Tür hereinkommen und mit

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