Der Umfang der Hoelle
ihrem t protzen?«
»Aber verehrter Mr. Lichfield, daß ist doch gar nicht … nicht das Problem … ich …«
Er versank in seinem Gestotter.
Lichfield machte dem ein Ende, in dem er kalt meinte: »Gehen Sie. Wir sind alle, denke ich, sehr zufrieden mit dieser Tischordnung. Es sind immer wieder die kleinen Irrtümer, die ein Glück begründen.«
Der Steward nickte wie unter einem Steinwurf, drehte sich um und verschwand.
»Lichfield«, sagte Babett, » der Lichfield.«
»Mein Gott«, sagte der kräftige, weißhaarige Mann mit dem Freiluftgesicht eines Segelbootbesitzers, »es gibt wohl eine Menge Leute mit diesem Namen.«
»Vor denen würde sich aber ein Steward nicht in die Hose machen.«
»Hatten Sie diesen Eindruck? Ich wollte den Mann nicht züchtigen.«
»Ich glaube, Sie hätten von ihm verlangen können, über Bord zu springen.«
»Sehen Sie«, sagte Lichfield, »darum rede ich so ungerne darüber, wer und was ich bin. Bevor das der Fall ist, finden mich die Leute sympathisch. Schätzen meine Gegenwart, ja, sogar meine Geschwätzigkeit. Danach ist alles anders, als hätten dieselben Leute Angst, ich würde versuchen, mir ihr Grundstück unter den Nagel zu reißen. Selbst fanatische Kapitalisten tun sich schwer, mich dann noch nett zu finden.«
»Nun«, meinte Babett, »wenn man bedenkt, wie viele Ölfelder Sie besitzen, so würde ich sagen, ist die Angst ums eigene Grundstück zwar irrational, aber nachvollziehbar.«
»Ich bin kein Monster.«
»Das sagt doch niemand«, warf Lichfields Frau ein, mit Sorgenfalten, die wie eine Jalousie aufklappten.
»Im Gegenteil«, betonte Leo, »es war sehr freundlich von Ihnen, diesem kleinen Mistkerl von einem Oberkellner Beine zu machen. Ist doch klar, was er wollte. Er fand es nicht angebracht, daß einfache Leute wie wir mit einem Multimillionär am Tisch sitzen und vielleicht das falsche Zeug reden. Auch auf einem solchen Schiff existieren Klassenunterschiede, zumindest in den Köpfen des Personals. Wahrscheinlich sind diese Reisingers auch Multimillionäre.«
»Die Frage ist«, sagte Lichfield, »ob Sie es stört, hier mit uns zu Abend zu essen.«
»Meine Güte, ich bitte Sie!« erklärte Reisiger. »Wenn Sie wollen, teile ich mir mit Ihnen einen Oberkellner.«
Babett lachte und meinte, daß sie keineswegs um ihr Grundstück fürchte. Freilich sei sie verwundert, daß Lichfields nicht am Tisch des Kapitäns säßen.
»Wir wurden natürlich eingeladen«, sagte der Ölmensch, »aber ich habe höflich abgelehnt.«
Er wies auf das andere Ehepaar, alte Freunde, aber mitnichten Multimillionäre, die man vor vielen Jahren allein deshalb kennengelernt habe, weil man einmal nicht mit dem Privatflugzeug unterwegs gewesen sei. Außerdem müsse er erwähnen, mit dem heutigen Tag, jawohl, mit dem heutigen, in Rente gegangen zu sein. Ohnehin sei seine Gesellschaft längst Teil eines Konzerns, in dem er nur noch als alter Haudegen fungiert habe, ein Clown eigentlich, ein Clown unter Haifischen. Diese Leute hätten ihm zum Abschied allen Ernstes einen Picasso geschenkt, einen mißlungenen dazu. Wie abgeschmackt! Wer von den Reichen würde heutzutage keinen Picasso besitzen. Man müßte dreiviertel aller Picassos verbrennen, um den Wert eines einzelnen auf ein vernünftiges Niveau zu heben. Nicht den Geldwert, der so oder so verrückt sei. Den ideellen Wert.
»Ich habe ihn verbrannt«, sagte Lichfield.
»Den Picasso?«
»Heute morgen, vor unserer Abreise.«
Reisiger fühlte sich schmerzlich an seinen Lottoschein erinnert, auch wenn die Hintergründe natürlich völlig verschiedene sein mochten.
»Aber lassen wir das«, sagte Lichfield, »genießen wir den Abend. Ich sehe, Herr Reisiger, Sie trinken Gin.«
»Das tue ich.«
»Vernünftige Einstellung. Ich werde mich anschließen.«
»Vor dem Hauptgang?«, bemerkte seine Frau mit erneut lamellierter Stirn.
»Den lass’ ich aus«, sagte Lichfield, »ich bin zu alt für die Hauptgänge.«
Es wurde ein netter Abend, obgleich man ein heftiges Gespräch über George Stevens’ Giganten führte, einen Film, den Babett wegen der »surrealen Schärfe der Bilder« schätzte, während Lichfield abfällig davon sprach, daß es lächerlich sei, ausgerechnet Schwule Ölmagnaten spielen zu lassen.
»Haben Sie was gegen Schwule?«
»Das ist es doch nicht. Ich könnte selbst einer sein. Jeder könnte einer sein. Es gibt für mich wahrlich schlimmere Vorstellungen. Aber Ölgeschäft und Homosexualität schließen sich
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