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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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war es ja wohl kaum ein Trost, daß während der vergangenen zehntausend Jahre nichts dergleichen geschehen war. Freilich war kein einziger Eisberg in Sicht, als man jetzt den Ring überflog und sich der Basis näherte. Mit Erleichterung stellte Reisiger fest, daß das Helideck um einiges großzügiger dimensioniert war als auf der Hyperion . Nicht grün, sondern rot. Es kam ihm vor, als setze man auf einem flachen Herzen auf.
    Noch auf dem Landeplatz wurde Lichfield vom Direktor der Bohrinsel empfangen. Wenn dieser nun an einen James-Bond-Bösewicht-Burgschauspieler zu erinnern hatte, dann weniger an den stattlichen Curd Jürgens als an den völlig unstattlichen Klaus Maria Brandauer.
    Der Mann begrüßte Lichfield mit höflicher Genervtheit, wie man das eben tut, wenn Leute auftauchen, die eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Gleich ehemaligen Staatspräsidenten, die die Welt bereisen und mit Ratschlägen bombardieren.
    Lichfield aber bombardierte nicht, erklärte vielmehr, er wolle nicht stören, zudem stehe ihm bloß eine gute Stunde zur Verfügung, in der er sich ein wenig umzusehen gedenke. Eine spezielle Führung sei nicht nötig. Auch wenn er die Plattform noch nie aufgesucht habe, könne er behaupten, er kenne Barbara ganz gut. Freilich sei es etwas anderes, endlich mit eigenen Füßen auf der guten Seele zu stehen.
    Lichfield stellte nun Reisiger vor, den man wie ein antikes Möbelstück aus dem Hubschrauber geborgen hatte.
    »Mein Freund und ich«, bat Lichfield, »wollen uns ganz ungezwungen bewegen. Es wird also nicht nötig sein, wenn Sie selbst sich bemühen. Geben Sie uns einen Mann mit, das genügt. Ich will hier keine Unruhe stiften.«
    Der Chef der Bohrinsel betrachtete Lichfield mit einem vielsagenden Blick, der wohl bedeuten sollte, daß der Auftritt in einem blendendweißen Anzug sich wenig eigne, die Ruhe zu erhalten. Abgesehen davon war es beleidigend, derart abserviert zu werden. Aber selbstverständlich wurde Lichfields Wunsch entsprochen und ein junger Mensch aus dem Stab beauftragt, die beiden Herren zu begleiten. Wobei der junge Mensch als Cambridge-Absolvent tituliert wurde, was in der gegebenen Situation eher abwertend klang, als bekäme man einen Mann als Bergführer zugewiesen, der noch nie auf einem Berg gewesen war. Tatsächlich wirkte der Cambridge-Mensch ein wenig verloren. Nicht dumm, natürlich nicht. Aber es schien, als sei er nicht gewohnt, sich abseits seines Bürostuhls aufzuhalten. Er stand wie ein dünner Strauch im kalten Wind.
    Der Leiter und sein Team verschwanden. Lichfield und Reisiger bekamen den obligaten knallgelben Helm aufgesetzt, als hätte jemand ein Dinosaurierei über ihren Köpfen zerschlagen. Reisiger hatte sich schon immer gefragt, wovor solche Helme einen denn schützen sollten. Vor Eisbergen? Vor herabfallenden Stahlträgern? Vor einem Sturz ins Meer? Wovor denn eigentlich?
    Die Anlage war durchaus behindertenfreundlich zu nennen. Eine große Zahl von Aufzügen und breiten, hellerleuchteten Schächten verband die Bereiche. Es war Lichfield, der hier die Führung vornahm. Der Cambridge-Mensch, ohne ein Wort zu sagen, erfüllte bloß den Anstand.
    »Ich habe hier so gut wie jede Ecke mitgeplant«, sagte Lichfield in Reisigers Rücken hinein, dessen Rollstuhl er schob. »Es tut gut zu sehen, wie perfekt Barbara gelungen ist.«
    »Und die wirkliche Barbara«, fragte Reisiger leise, »auch so perfekt?«
    Statt eine Antwort zu geben, stoppte Lichfield, drehte sich zu dem Cambridge-Menschen und sagte: »Wenn ich es genau bedenke, brauchen wir Sie eigentlich nicht mehr. Nett von Ihnen, uns begleitet zu haben. Aber wie ich schon sagte, ich kenne mich hier aus. Wir werden also nicht verlorengehen. Und wir werden mit Sicherheit nichts anfassen, was anzufassen sich verbietet.«
    »Aber Mr. Lichfield, Kapitän Chips …«
    »Ihr Chef nennt sich Kapitän?« tat Lichfield verwundert. »Das ist kein Schiff, sondern eine Insel, eine wirkliche Insel, die mit ihren Beinen fest am Boden steht. Er müßte sich eigentlich als Bürgermeister oder Häuptling oder – etwas freier – als insularer Patron bezeichnen. Na egal. Jedenfalls wird Kapitän Chips Sie nicht köpfen lassen, wenn Sie tun, was ich sage. Ich möchte mit meinem Freund ein wenig allein sein. Sie verstehen mich doch?«
    »Nun, ich weiß wirklich nicht …«
    »Ich werde mich bei der Gesellschaft lobend über Sie äußern. Ich mag ein alter Trottel sein, aber ein wenig Gewicht hat meine Stimme immer

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