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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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noch.«
    »Also gut, ich … Aber ich muß dem Kapitän selbstverständlich Bericht erstatten.«
    »Ausgezeichnet, machen Sie das.«
    Als der Cambridge-Mensch sich entfernt hatte, sagte Lichfield: »Ich mag diese jungen Leute nicht. Kein Rückgrat. Aber wehe sie kommen in eine hohe Position. Dann führen sie sich auf wie Potentaten.«
    »Was hätte er tun sollen?«
    »Sich mit mir anlegen, mir sagen, daß es ihm gleichgültig sei, wer ich bin und was ich verlange. Aber natürlich ist es gut so. Wir können jetzt in Ruhe reden. Ja, Barbara, das war sie, die Liebe meines Lebens, wie man so sagt. Keine wirklich schöne Frau wie Mrs. Lichfield, aber ein Geschenk Gottes. Ich hab es leider nicht verstanden, das Geschenk auszupacken. Ich habe es angenommen, aber nicht ausgepackt.«
    »Wo lag das Problem?« fragte Reisiger und reichte Lichfield sein Glas Gin.
    »Barbara wollte, daß ich das Ölgeschäft aufgebe. Sie hat wenig vom Öl gehalten.«
    »Aus politischen Gründen?«
    »Aus grundsätzlichen. Sie war nicht etwa eine engagierte Umweltschützerin. Ihr Lebensprinzip war die Zurückhaltung, Zurückhaltung gegenüber allem und jedem. Die Erde anzuzapfen, wie ein Parasit seinen Wirt, erschien ihr als das Gegenteil jeglicher Zurückhaltung.«
    »Sie sprechen von ihr, als sei sie nicht mehr am Leben.«
    »Ich weiß es nicht. Sie ist einfach verschwunden, ohne ein Wort, ohne eine Spur zu hinterlassen. Freilich hätte ich versuchen können, eine solche Spur ausfindig zu machen. Aber wozu? Für mich war sie tot und wäre nicht wieder ins Leben zurückgekehrt, wenn ich festgestellt hätte, daß sie in irgendeinem Kaff hockt und irgendwelchen Bengels Klavierunterricht erteilt.«
    »Verstehe«, sagte Reisiger, »es hat etwas Tragisches, einen Menschen an ein Klavier zu verlieren.«
    »Sie spotten.«
    »Das tue ich nicht. Ich verachte Klaviere.«
    Man durchquerte soeben eine Maschinenhalle, vorbei an Arbeitern, die beim Anblick der beiden Männer zu träumen glaubten. Filmsprachlich gesehen war es so, als würden Figuren aus einer, sagen wir mal, Zauberberg-Verfilmung sich vor dem Hintergrund einer Die-Hard-Episode bewegen. Nicht minder widersprüchlich erschien Reisiger der Umstand – und er erwähnte dies nun auch –, daß Lichfield die Bohrinsel ausgerechnet nach einer Frau benannt hatte, die ihm ja genau wegen seines Ölgeschäfts davongelaufen war.
    »Man baut Denkmäler, um sich zu erinnern«, erklärte Lichfield. »Jeder auf seine Art. Bei mir sind es nun mal Bohrtürme. Natürlich wäre Barbara verärgert gewesen, davon zu erfahren. Aber ich glaube kaum, daß das je der Fall war. Sie hat nie Zeitungen gelesen oder Fernsehnachrichten gehört. Das hat sie angewidert.«
    Das konnte Reisiger verstehen. Das schon. Nicht aber die Wahl eines solchen Denkmals, das der zugedachten Person völlig entgegenstand. Auch wenn die Widmung nie öffentlich geworden war. Kein Wunder, daß diese Frau sich entzogen hatte.
    Aber Lichfield blieb konsequent und meinte, daß ein Denkmal nun mal eher denen zu entspreche habe, die da ihr Andenken pflegen, als jenen, denen dieses Andenken gelte. Wie ja auch ein Grabstein in der Regel die Bedürfnisse der Hinterbliebenen ausdrücke und selten den Geschmack des Toten treffe. Für ihn selbst seien eben Bohrtürme und Bohrinseln schöne, beeindruckende Objekte und diese Anlage hier die schönste und beeindruckendste von allen. Nur logisch also, die Insel nach jener Frau zu benennen, die ihm als einzige wirklich etwas bedeutet habe. Trotz allem.
    Reisiger wandte ein, daß sich Lichfield dann aber ganz schön Zeit gelassen habe, um diesem herrlichen Denkmal einen Besuch abzustatten.
    »Sie haben recht. Es hat mir an Courage gefehlt. Die Planung war eine Sache, die Finanzierung, die Vorstellung im Geiste. Aber die Plattform auch wirklich zu betreten, das war etwas anderes. Kindisch eigentlich. Aber was soll man machen? Auch der vernünftigste Mensch hat einen Knick in der Seele. Einen Schmerz, um den er wie ein ängstlicher Hund herumschleicht.«
    »Warum aber jetzt?«
    »Ach wissen Sie, lieber Herr Reisiger … ich hatte es zunächst nicht vorgehabt. Ich wollte … ja, ich wollte in Europa sterben.«
    »Was?« Reisiger warf seinen Kopf zurück und betrachtete den Mann, der mit den kräftigen Händen des nie zur Ruhe Gekommenen den Rollstuhl führte.
    »Krebs!« sagte Lichfield, wie man sagt: FBI! Um gleich darauf zu erklären: »Es ist schrecklich banal. Eine Krankheit, die so viele Menschen überfällt.

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