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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schmale Gitterkonstruktion, welche entlang der gerade nach unten laufenden, flakturmartigen Außenhaut führte. Das Meer war ein ferner Ort, welcher freilich auf Grund der Zwischenräume im Bodengitter eine deutliche Präsenz besaß. Deutlicher als die Bohrinsel, die hier nur noch als Steilwand fungierte.
    »Sehen Sie!« überschrie Lichfield das Tosen, das sie umgab, und zeigte auf die Treppe, die nach mehreren Metern auf eine kleine, blattartig abstehende Auskragung führte, die mehrere Tanks beherbergte. Was die auch immer darstellten. Darum ging es ja auch nicht. Sondern darum, daß zwischen den Behältern, einen Raum von jeweils nicht mehr als einem Meter bildend, das Geländer fehlte.
    »Ich werde jetzt dort hinaufgehen«, kündigte Lichfield an, »um mich von der Sicherheit dieser Treibstoffbehälter zu überzeugen, oder besser gesagt von der Unsicherheit. Etwas mit der Verankerung kommt mir komisch vor. Das habe ich im Gefühl. Sagen Sie also den Leuten, die sie später befragen werden, ich hätte eine Schlamperei gewittert. Darum ist ja einer wie ich auch hier, ein alter Knabe, der überall nach Fehlern sucht und kein größeres Glück kennt, als einen zu finden. Das ist plausibel. Meine gottverdammte Schnüffelei. Und dabei bin ich leider … Für Sie wird es kein Problem geben. Wie auch sollten Sie mich gestoßen haben? Mit Ihrem Rollstuhl kommen Sie die Treppen nicht hoch. Das ist unmöglich. Sie müßten fliegen können. Also, das ist soweit geklärt. Danach fahren Sie zurück zur Türe. Dort ist ein Alarmknopf und eine Gegensprechanlage. Geben Sie durch, was geschehen ist, dann warten Sie. Was sollten Sie auch sonst tun? Niemand wird Ihnen einen Vorwurf machen. Man kennt mich. Man weiß, was für ein engstirniger Kerl ich war, ein Cowboy, der nicht aufhören konnte, Pferde zuzureiten.«
    »Sie haben Pferde zugeritten?«
    »Das war bildlich gemeint, Reisiger. Also, leben Sie wohl. Und haben Sie vielen Dank. Es wäre mir ein großes Bedürfnis gewesen, Sie und Ihre Frau in meinem Testament zu berücksichtigen. Oder mich irgendwie anders erkenntlich zu zeigen. Aber Sie werden verstehen …«
    »Natürlich. Das wäre keine gute Idee.«
    »Grüßen Sie mir Europa, mein Freund.«
    Reisiger hätte jetzt gerne etwas Vergleichbares gesagt, etwa »Grüßen Sie mir den Himmel« oder »Grüßen Sie mir die Hölle«, was er natürlich unterließ und statt dessen ein versöhnliches »Auf Wiedersehen, Lichfield« herauspreßte.
    Lichfield zwinkerte. Er wirkte jetzt fröhlich wie einer dieser Astronauten, die noch einmal der Welt zulächeln, bevor sie in ihre Kapsel schlüpfen. Er stieg die Treppen hoch, studierte eingehend den ersten Tank, wohl die Möglichkeit einer Videoüberwachung bedenkend, betrachtete mit derselben Intensität den nächsten und verschwand schließlich zwischen dem dritten und vierten. Reisiger konnte ihn nicht mehr sehen. Dann vernahm er einen Schrei. Es klang nach Jubel. Den fallenden Körper sah er nur kurz.
    »Gott hab ihn selig«, murmelte Reisiger in den Wind hinein und rollte zurück zur Tür. Noch bevor er etwas tun konnte, heulte eine Sirene los. Offensichtlich hatte man tatsächlich mittels einer Videokamera Lichfields Sturz beobachtet. Das war gut so. Reisiger brauchte dann weniger zu erklären. Vor allem, daß er mit seinem Rollstuhl nie und nimmer ein paar Treppen habe überwinden können. Das Video würde seine Unschuld beweisen. Er konnte sich somit darauf beschränken, zu erklären, daß der alte Haudegen mitnichten in selbstmörderischer Absicht zu den Tanks hinaufgestiegen war. Daß er sich vielmehr in bester Stimmung befunden habe. Und das würde dann nicht einmal gelogen sein.
    Rasch waren Arbeiter zur Stelle, die Reisiger nach drinnen schoben und gewissermaßen im Gang abstellten. Eine beträchtliche Hektik brach aus, eine Menge Menschen liefen hin und her, als sei hier oben noch irgendwas zu retten. Als müßte man nachträglich ein Geländer bauen, um das Geschehene aufzuheben.
    Der Direktor marschierte wortlos an Reisiger vorbei. Sein Gesicht war ein weißes Blatt. Er sah jetzt auch ein bißchen tot aus. Als er wenig später zurückkehrte, trat er vor Reisiger hin, wütend, hilflos, kurz davor, sein Gegenüber zu packen. Dann wurde ihm wohl klar, daß er einen Invaliden vor sich hatte. Er faltete seine Hände und fragte: »Mein Gott, was hat dieser Idiot dort draußen gewollt?«
    »Er meinte, mit den Tanks sei etwas nicht in Ordnung. Die Befestigung oder so. Er wollte

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