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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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diesen Bergen vorgelagert sind oder wie Klistierspritzen zwischen sie hineinstechen, besitzen stets den Reiz einer letzten Raststation.
    Für Reisiger kam natürlich noch die erregende Erwartung hinzu, die er mit einem Ort verband, der Purbach hieß. Einem Ort, den er – wenn auch grundlos, so doch in zunehmenden Maße – mit jenem gleichnamigen Flecken auf dem Mond in Verbindung brachte. Ihm gefiel ganz einfach die abstruse Vorstellung, daß dieses Purbach im Garstner Tal ohne das Purbach auf dem Mond gar nicht denkbar gewesen wäre. Was seine Berechtigung besaß, wenn man sich noch ein drittes Purbach dachte: das Purbach in Reisigers Kopf.

Frauen, die schmollen
    Wie hat man sich Purbach vorzustellen? Idyllisch selbstverständlich. Idyllisch und entlegen, aber auch nicht wieder so entlegen, daß ein Fremder sich hätte fürchten müssen, Opfer traditioneller Rituale zu werden, ohne daß eine Behörde sich darum gekümmert hätte. Purbach lag also nicht am Arsch der Welt, sondern gewissermaßen in jener sanften Furche, die einen schönen Po mit einem schönen Rücken verbindet.
    Durchbrochen von einer einzigen echten Verkehrsstraße, spaltete sich die Ortschaft in zwei gleich große Teile, wobei die Länge der Kurve so gut wie jeden Benutzer zu einem Gähnen verführte und eine Steifheit der Arme hervorrief. Die Gebäude in Purbach verteilten sich über mehrere kleine Hügel, die einer steil aufragenden – die Bergwelt einläutenden – Erhebung vorgelagert waren.
    Ein jedes dieser Häuser besaß eine schmucke, aufwendige Fassade, die ganze Architektur befand sich im Zustand frischer oder relativ frischer Renovierung. Viel Holz, viel Holzschutzmittel, erste Blumenkästen. Man konnte sich vorstellen, wie später im Frühling die Fenster und Balkone von der Blütenpracht überborden und ein jedes in diesen Fenstern und auf diesen Balkonen aufscheinende Gesicht den Glanz umrahmter Heiligkeit annehmen würde.
    Ein richtiger Hauptplatz existierte nicht. Aus Gründen, die etwas von der Unheimlichkeit rascher Wetterumschwünge besaß, hatte er sich einer Entstehung verweigert. Und das sicher nicht, weil es am Geld gefehlt hätte. Natürlich gab es eine katholische Kirche, einturmig, die wie ein weißer Grabstein von einem der Hügel aufragte und unter der sich terrassenförmig der Friedhof ausbreitete. Auf dem übrigens ein englischer Dichter begraben lag, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts hier gestrandet war, endgültig gestrandet, von dem aber kaum noch jemand wußte, daß er ein Dichter gewesen war. Allein sein exotischer Name versetzte den einen oder anderen in Entzücken: John Malcolm Furness.
    Das hauptplatzlose Rathaus befand sich ein wenig außerhalb, ein modernes Gebäude aus gläsernen Wänden und einem voluminösen Kuppeldach, von den Bewohnern verächtlich »das Gewächshaus« genannt. Zwei Wirtshäuser, gar nicht voluminös, lagen an der Straße wie Steine an einem Bach. Der Verkehr hielt sich in vernünftigen Grenzen. Wenn nicht hin und wieder ein charmanter Jugendlicher versucht hätte, mit seinem Wagen eine Katze abzuschießen, wäre man versucht gewesen, die Einheimischen für autoscheu zu halten. Was natürlich nicht der Fall war. Die mächtigen, gegen die Einfamilienhäuser gelehnten Garagen dokumentierten den Schutz, den man seinen Fahrzeugen gewährte. Aber hier lebten nun mal Leute, die, wenn sie zum Bäcker um die Ecke gingen oder hinauf zur Kirche, ihre Autos daheim stehen ließen. Große Autos, selten weniger als zwei pro Familie. Darunter viele deutsche Modelle. Man kann sich vorstellen, was der Dandy Tom Pliska davon hielt. Auf den Grundstücken, die großzügig die Häuser umspülten, sah man viele Kinder, die auf Rutschen und Schaukeln turnten oder sich in den noch feuchten Sand vertieften. In den Hauseingängen standen die Mütter und Väter dieser Kindern und blickten stolz nach draußen, als hätten sie nicht bloß diese Kinder gezeugt, sondern auch diese großartige Landschaft, ja diesen wunderbar warmen Tag.
    Obzwar also ein Hauptplatz in Purbach fehlte, bestand dennoch ein Zentrum, allerdings kein öffentliches: Bobecks Anwesen. Selbiges lag höhenmäßig nur knapp unterhalb der Kirche und nahm einen gesamten, leicht gegen das Tal geneigten Hügel ein. Es kam ohne einen Zaun, ohne einen Hinweis auf den rein privaten Charakter dieses Grundstücks aus. Allerdings wurde die Auffahrt von zwei überlebensgroßen, steinernen Barockfiguren flankiert, Kriegern oder Göttern, woraus sich

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