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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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aus Lebendigem und Totem. Reisiger meinte, aus dem Bild dringe ein Gestank. Der Gestank verschlungenen Gedeihens und Vergehens. Doch damit würde er sich wohl abfinden müssen. Er war nicht hier, um die Einrichtungsideen seiner Gastgeber zu bemängeln. So wenig wie den Umstand, daß inmitten dieses historischen Umfelds eine hochmoderne Hi-Fi-Anlage samt stehlampenartiger Lautsprecherboxen ihn daran erinnerte, in welchem Beruf er zu Hause war. Während hingegen in seinem eigenen Zuhause Geräte herumstanden, die sich kaum zu etwas anderem eigneten, als darauf Aschenbecher und Weingläser abzustellen.
    »Kann ich noch etwas für Sie tun?« fragte Susanne und hatte ihre Lippen wieder in der gewohnten Weise verzogen.
    »Sehr freundlich, aber ich habe alles, was ich brauche.«
    Susanne ging. Reisiger nahm seine Reisetasche und stellte sie auf dem kleinen, gegen die Wand gerückten Schreibtisch ab. Er nahm ein Hemd, eine Krawatte und frische Socken heraus, die er alle über der Sessellehne eines gut zweihundert Jahre alten Sitzmöbels plazierte. Sodann ließ er sich auf der Kante eines Bettes nieder, das gewissermaßen – der Modernität wegen, über die es verfügte – einen Dialog mit den Hi-Fi-Geräten einging. Verbündete im Feindesland.
    Reisiger machte es sich bequem. Er schlief ein, wie man das mitunter tut. Ohne Gebet. Ohne Pillen. Ohne umgedrehten Schlüssel in der Türe. Auch ohne einen Gedanken an Eva Rösner zu verschwenden.
    Nach gut eineinhalb Stunden erwachte er mit jener Erschlagenheit, die ein langer Nachmittagsschlaf so gut wie immer nach sich zieht. Er wankte hinüber ins Bad, einen engen, fensterlosen Raum, der aussah wie eine Aufzugkabine mit Dusche und Klo. Reisiger hatte einen Geschmack im Mund, als stecke noch ein ganzer Fisch darin. Ausgiebig putzte er sich die Zähne, ließ kaltes Wasser – Winterwasser – über sein Gesicht laufen und nahm eine Rasur vor. Dann verließ er sein Zimmer und trat nach unten. Kein Mensch war zu sehen, auch kein schmollender.
    Er ging raus. Auch hier keine Menschenseele. Es war, als hätte ein stiller, kleiner Krieg allem ein Ende gemacht. Nur der kleine, dreibeinige Hund saß noch immer neben dem Citroën, der jetzt im gefleckten Schatten einer einzelnen Eibe stand. Vier erhob sich von seinem Hinterteil und humpelte auf Reisiger zu. Der Hund schien jetzt ein wenig gebrechlicher als noch am Vormittag. Vier und sein Holzbein mußten erst in Gang kommen. Jedenfalls tat der Hund nun etwas, was niemand von ihm verlangte. Er begleitete Reisiger hinter das Haus, hinüber in jenen kleinen Park, der so klein nicht war. Zudem überaus gepflegt, wenngleich er noch ein wenig trostlos dalag, die Blumenbeete allein aus der umgegrabenen Erde bestanden und das Brunnenbassin – wie Reisiger jetzt erst feststellte – mit verschraubten Holzlatten abgedeckt war. Aus der Mitte ragten drei lebensgroße, halbnackte Steinfiguren, die ineinander verhakt und verheddert waren und die ganz eindeutig den Eindruck machten, über viel zu wenig Platz auf dem felsenartigen Podest zu verfügen. Der Titel dieses Brunnen hätte lauten können: Zwei zuviel.
    Lange Reihen kegelförmiger Bäumchen, hoch wie Basketballspieler, flankierten die seitlichen Wege. Auf einem davon ging Reisiger hinüber in das Wäldchen, in dem die Sternwarte gelegen war. Hin und wieder sah er neben sich und blickte auf Vier hinunter, welcher unbeeindruckt davon blieb, daß Reisiger mit einem Zischlaut versuchte, ihn wegzuscheuchen. Nicht, weil Reisiger Hunde fürchtete oder sich etwa vor der Invalidität Viers geekelt hätte. Aber es handelte sich nun mal nicht um seinen Hund. Auch nicht um einen jener südländischen Straßenköter, die mit einem jeden mitgingen. Nein, die Anhänglichkeit Viers blieb so mysteriös wie unbegründet. Und wenn sie begründet werden konnte, dann doch wohl damit, daß Vier meinte, Reisiger kontrollieren zu müssen. Wie es in Warenhäusern geschah, wenn die Verkäufer gleich Pilotfischen hinter den Kunden hertrieben.
    Noch einmal, am Übergang vom Park zum Wald, bemühte sich Reisiger, den Hund abzuschütteln. »Verzieh dich, du Mißgeburt«, versuchte er es unsinnigerweise mit einer Gemeinheit. Noch dazu einer unpassenden, da Vier ja nicht als Dreibeiner das Licht der Welt erblickt hatte, sondern ihm dieses Bein operativ entfernt worden war, nachdem er im Zuge eines Lawineneinsatzes lokale Erfrierungen davongetragen hatte. Was Reisiger natürlich nicht wissen konnte. Hätte er es gewußt,

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