Der Umfang der Hoelle
sich einander. Sehr poetisch. Ganz abgesehen davon, daß es besser ist, ein Versprechen zu brechen, als einen Vertrag aufzulösen. Ich würde mich auch verloben, bevor ich das nächste Mal heirate.«
»Sie sind geschieden?«
»Kein Thema. Erzählen Sie weiter. Was macht Ihr Sohn?«
»Der lebt ebenfalls im Ausland. Man könnte glauben, meine Kinder mußten flüchten. Aber dahinter steckt bloß das unstete Element ihrer Mutter.«
»Die Filmkritikerin, ich hörte bereits. Beziehungsweise Schwimmerin.«
»Ja, sie lebt im Kino und im Wasser.«
»Und Ihr Sohn?«
»Lebt in Australien. Als Jockey.«
»Das ist nicht Ihr Ernst?«
»Wie? Weil er reitet?«
»Nun ja«, meinte Susanne, »irgendwer muß natürlich auch auf diesen Pferden sitzen. Aber Jockey … das ist einer von den Berufen, bei denen man sich nicht vorstellen kann, daß jemand sie auch wirklich ausübt.«
Reisigers Gesichtszüge wechselten augenblicklich die Statur. Hin zur Kampfhaltung. Mit der Stimme einer kleinen Faust erklärte er, daß er am Beruf seines Sohnes absolut nichts Ehrenrühriges oder gar Komisches entdecken könne. Vielmehr sei es eine seltene Kunst, sich auf diesen übernervösen Tieren zu halten. »Nicht, daß ich Pferde liebe«, betonte Reisiger, »sie sind mir unheimlich, viel zu groß. Als hätte man Haushunde mit bockigen Elefanten gekreuzt. Aber was soll ich machen, Robert hat von klein auf Pferde gemocht. Nicht in dieser mädchenhaft überreizten Weise. Darum ist er ja auch nicht etwa Springreiter geworden. Oder gar Dressurreiter. Keiner von diesen Affen.«
»Na gut, aber Jagdrennen sind auch nicht gerade Meisterwerke artgerechter Haltung. Freilich weniger mädchenhaft.«
»Über Tierschutz reden wir hier nicht«, erklärte Reisiger trotzig. »Ich sagte ja schon, ich hatte nie viel über für das Bedürfnis, sich auf dem Rücken viel zu hoher Tiere niederzulassen. Über ein Pony ging meine Vorstellungskraft nicht hinaus. Aber ich hatte Verständnis für Robert. Für seine Begabung. Das ist ja wohl der Sinn der Elternschaft, irgendeine Begabung … ja, weniger sie zu erkennen, als sie zu akzeptieren. Erkannt wird sie von anderen, von Experten, wenn man nicht zufälligerweise selber einer ist, was sich selten als Vorteil erweist. Jedenfalls war bald klar gewesen, das Kind hat großes Talent.«
»Hätten Sie auch ein weniger großes Talent gefördert?« fragte Susanne und nahm sich mit einer glatten Bewegung eine weitere Zigarette aus Reisigers Schachtel, die er ihr wie eine Packung Rattengift hingehalten hatte.
Reisiger sagte: »Sie hassen Eltern.«
»Na ja, ich bezweifle die Gutmütigkeit ihrer Intentionen.«
»Was hat man denn für eine Möglichkeit?« erwiderte Reisiger. »Irgendwas muß das Kind ja werden. Dann schon besser etwas, worin es Talent besitzt.«
»Ihr Sohn ist klein, nicht wahr? Klein von Wuchs, meine ich.«
»Was soll das jetzt heißen?« fragte Reisiger und reckte sein Kinn, wie um ein vorbeifliegendes Insekt aufzuspießen.
Susanne erklärte ruhig, daß es sich bei einem Jockey ja doch wohl um einen recht kleinen Menschen handeln müsse. Sie könne sich einen Jockey nur klein vorstellen, wie ein Basketballspieler wiederum nur großgewachsen denkbar sei.
»Ja, er ist klein. Na und?«
»Sie selbst sind ziemlich groß. Und ihre Frau?«
Statt auf die Frage zu antworten, sagte Reisiger: »Robert kam sehr früh zur Welt. Was natürlich nicht heißen muß, daß jemand klein bleibt. Aber er blieb nun mal klein. Klein und zierlich. Wenn Sie aber denken, man müsse nur ein Zwerg sein, um ein guter Jockey zu werden, täuschen Sie sich.«
»Ist er denn ein guter Jockey?«
»Nun …« Reisiger zögerte. »Ich weiß eigentlich nicht wirklich, ob er Erfolg hat. Oder bloß den Statisten abgibt. Ich käme nicht auf die Idee, die australischen Rennergebnisse zu studieren. Und er käme nicht auf die Idee, mir davon zu berichten.«
»Das muß nicht heißen, daß man sich nicht mag.«
Reisiger bemerkte einen Tonfall des Mitleids. Das konnte er schon gar nicht ausstehen. Er sagte: »Lassen Sie das.«
»Ich bin hier nur angestellt«, äußerte Susanne, »wenn ein Gast der Bobecks mich auffordert aufzuhören, höre ich auf.«
Sie rückte von der Tischkante, warf die Zigarette auf den steinernen Boden und trat sie mit ihren festen, aber elegant zugespitzten Schuhen aus. Dann schritt sie an Reisiger vorbei aus dem Raum. Er blickte ihr betrübt nach. Er mochte es nicht, wenn sich Leute auf diese Weise von ihm
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