Der Umfang der Hoelle
und zwar in Konstanz, mit Blick auf den großen See, in dem die Insel Mainau wie ein vom Himmel geklatschter Kuhfladen liegt.
Die Stadtväter waren ziemlich unglücklich damit gewesen, daß Bobeck seine Einrichtung simplerweise – scheinbar auch ironisch – Institut für Gewalt benannt hatte, also nicht etwa unmißverständliche Definitionen wie Aggressionsforschung, Humanbiologie oder Gewaltprävention wählte, sondern ganz einfach den Begriff »Gewalt« in den Raum stellte, gewissermaßen in den idyllischen Bodenseeraum hinein, die schöne Insel Mainau konterkarierend. Institut für Gewalt , das klang natürlich ein wenig wie Brot für die Welt oder Sieben Fäuste für ein Halleluja , als wollte man in diesem Institut die Gewalt nicht einfach nur erforschen, sondern sie auch fördern, ihr eine neue, positivere Bedeutung verleihen. Und tatsächlich sprach Siem Bobeck ja auch von der »notwendigen Kultivierung der Gewalt«, im Gegensatz zu ihrer völlig sinnlosen, wenn nicht gefährlichen Dämonisierung sowie ihrer Einordnung in das, was Bobeck »ethische Plakate« nannte. Jedenfalls waren das Institut und die dort betriebene Forschung mit ihrem Leiter nicht selten Ausgangspunkt heftiger Kontroversen. So wurde etwa von den Beaubecks – wie sämtliche Mitarbeiter des Instituts, männliche wie weibliche, sich selbst bezeichneten – jene populäre These, Autoaggressionen wären umgeleitete, ursprünglich gegen die Umwelt gerichtete Aggressionen, vollständig abgelehnt. Ja, man ersetzte diese Sichtweise durch die umgekehrte Annahme, daß alle Gewalttätigkeit einen autoaggressiven Hintergrund besitze und etwa der Fremdenhaß eine praktikable Kanalisierung eines angeborenen Ekels gegen die eigene Person darstelle. Das war überhaupt ein zentraler Begriff dieser Forschung, der des Ekels als ein fundamentaler, genetisch bedingter Reflex.
Die Beaubecks hielten dieses Sichgrausen vor der eigenen Körperlichkeit, dem ständigen Gefühl, auch im angezogenen Zustand nackt dazustehen, ein haarloses Ungeheuer zu sein, für einen nicht unwichtigen Aspekt zur Klärung der Hintergründe von Gewalt.
Das klingt nun ziemlich gewagt, mehr literarisch als empirisch. Und radikale Empiriker waren die Beaubecks nun tatsächlich nicht, eher ein genialischer Haufen postmoderner Theoretiker. Freilich kamen auch sie nicht ohne großangelegte Untersuchungen aus, ohne Neurochemie und Hirnforschung, sie testeten und verglichen und krochen schnüffelnd hinter den Erscheinungen der Gewalt her. Wobei sie so weit gingen, sich wie Undercoveragenten überall dort einzuschleusen, wo die Gewalt deutlicher als anderswo den Alltag bestimmte, zumindest deutlicher als in Konstanz, diesem bizarr lieblichen Ort, der etwas von einer aufgeklappten, papierenen Spielzeugstadt hatte und an dem die Gewalt so ziemlich auf die eigenen vier Wände beschränkt blieb, die vier Wände der Wohnungen und Köpfe.
Apropos Wohnungen und Köpfe. Die Beaubecks gehörten zu jenen Aggressionsforschern, die den Einfluß moderner Medien auf das Gewaltpotential für weitgehend unbedeutend hielten, allein dazu geeignet, gewisse Handlungsmuster zu kopieren, aber sicherlich nicht, sie zu begründen. Man war in vielen Testreihen zur Überzeugung gelangt: Schlechte Filme verursachen keine schlechten Menschen. Das war ein Trost wie selten einer.
Mona Herzig hatte Bobecks Wechsel vom Lehrstuhl zum Gewalt-Institut begleitet und sich in Konstanz niedergelassen. Sie war zur stellvertretenden Leiterin ernannt worden und führte das Institut während Bobecks häufiger Abwesenheit. Man darf ja nicht vergessen, Bobeck hatte in der ersten Zeit noch ein Modeimperium zu organisieren und war auch häufig in der Öffentlichkeit aufgetreten: telegen, brillant, überraschend. Er stritt sich ebenso gerne mit linken wie mit rechten Denkern, nannte Eibl-Eibelsfeldt einen Banalisierer der Ethologie und behauptete, jemand wie Günther Grass gehöre entweder in ein Regierungsamt gewählt oder mit Redeverbot belegt.
Bobecks Forschungsmethoden blieben allerdings im dunklen. Seine öffentliche Auftritte, seine provokanten Thesen, seine Bücher und Aufsätze, die ganze Ironie, die sich aus seinem Steinreichtum als Modehausbesitzer ergab, zuletzt seine Heirat mit einem ehemaligen Schlagerstar und Liebling der Gesellschaftspresse, das alles täuschte darüber hinweg, wie wenig man über seine eigentliche Arbeit wußte und daß Bobeck und seine Beaubecks sehr darauf achteten, sich nicht in die Karten und
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