Der Umfang der Hoelle
zunächst, da er ohne jede Anmeldung gekommen war, nicht einlassen wollen. Erst ein Rückruf beim Chef führte dazu, daß sich die Türen öffneten, Türen aus gefärbtem Glas, die geräuschlos zur Seite glitten.
Mona kannte die Sempers nur vom Namen her, wußte um deren ständige Geldsorgen, die Siem Bobeck in einer Weise bereinigte, als handle es sich um eine nebensächliche Peinlichkeit. Er schien sich zu seiner Halbschwester durch nichts anderes verbunden zu fühlen als durch diese monetären Gesten. Die Geschwister waren ohne ihren gemeinsamen Vater und getrennt voneinander aufgewachsen. Beide hatten viele Jahre in Heimen zugebracht. Beider Mütter blieben im Nebel.
Bobeck war seiner Schwester erst wieder in seinen Dreißigern begegnet, als er bereits eine gewisse Bedeutung besessen hatte, während Gerda mit vier, in rascher Folge auf die Welt gebrachten Kindern dastand sowie einem Ehemann, dem sie ihren neuen Namen verdankte. Sowie einer Menge Sorgen, die aus mehreren gescheiterten Versuchen zur Selbständigkeit resultierten.
Bereits dieses erste Zusammentreffen hatte allein finanziellen Überlegungen gegolten, wobei damals noch von einem »zinsfreien Kredit« die Rede gewesen war. Das erste und letzte Mal. Später hatten die Sempers es vorgezogen, die Zuwendungen als »familiäre Umverteilung« anzusehen. Nicht, daß ein guter Grund oder auch nur ein »weiches« Gefühl für Bobecks Großzügigkeit bestand. Seine Schwester hatte ihn also keineswegs in der Hand, wie viele glaubten. Wenn etwas Bobeck für Gerda einnahm, dann die Unverfrorenheit, mit der sie ihre Ansinnen vortrug und forderte, was ihr eigentlich nicht zustand, den Umstand eines gemeinsamen Vaters wie ein kaltes Glas Wasser benutzend, aus dem zwei Leute trinken müssen, da eben nur dieses eine Glas existiert. Daraus hatte sich bald etwas entwickelt, was Claire Rubin nicht zu Unrecht als Schmarotzertum empfand, wobei allerdings auch eine gewisse Vernunft vorlag, indem sämtliche Sempers aufgehört hatten, sich weiter um irgendwelche ominösen Existenzgründungen zu bemühen, sondern nur noch ein Leben als Konsumenten führten, schnelle Autos fuhren, aufwendige Urlaubsreisen unternahmen, in erster Linie aber Schulden machten, als bestehe darin die eigentliche Leistung ihres Daseins.
Nie aber benutzten sie den guten Namen Siem Bobecks. Eine eigentümliche Art von Fairneß begleitete ihre Handlungen. Denn wer, bitteschön, besitzt schon die Größe, auf einen guten Namen zu verzichten, um etwas zu erreichen?
Da trat nun also der älteste Sproß der Sempers in Bobecks Büro, nahm auf dem Mies-van-der-Rohe-Stuhl Platz, als befinde er sich in Willis Kneipe, und erklärte, sich als Proband zur Verfügung stellen zu wollen, als der Proband. (Wie seine Mutter pflegte er einen selbstverständlichen Umgang mit Fremdwörtern und hätte sich also niemals als »Versuchsperson« angeboten, dann schon eher als »Dummy«, aber »Proband« war nun mal die korrekte Bezeichnung.)
»Was soll das, Fred?« fragte Bobeck. »Ist dir langweilig? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Konstanz der Ort deiner Träume ist.«
»Ich bin neugierig geworden«, erklärte Fred Semper. »Du tust doch die ganze Zeit mit Aggression und Gewalt herum. Und da hast du einen Neffen, der ist so voll von Wut wie ’ne gestopfte Weihnachtsgans. Woher kommt’s? Das will man doch wissen. Muß doch nicht sein, daß man wie eine Maschine durch die Gegend rennt, so ein kleiner Terminator, dem sein okulares Display anzeigt: Hau drauf!«
»Willst du ein guter Mensch werden?«
»Ich hab gesagt, ich will nicht wie ’ne Maschine sein. Und wenn schon ’ne Maschine, dann ’ne intelligente, die den ganzen Unfug begreift. Den Unfug von so ’m Schöpfer, der da seine Maschinchen baut.«
»Du weißt doch, Fred, was ich von der Idee eines Schöpfers halte.«
»Egal. Ich will, daß ihr mich auseinandernehmt.«
»Ich würde dir eine Therapie empfehlen.«
»Begreifst du nicht? Mir geht’s nicht darum, gesund zu werden. Wenn ich gesund werden will, werd ich Bierdeckelfabrikant und fahr zweimal im Jahr nach Sylt. Ich will Ordnung. Ordnung heißt, daß man sich auskennt. Und damit mein ich eben nicht, zu begreifen, daß Mama mich nicht genug geliebt hat und Papa ein Versager ist. Wenn das ein Grund für Gewalt wär, würden jeden Tag die Städte und Dörfer brennen. Das weißt du doch selbst. Die Seele is’n kleines Kind, das nicht erwachsen wird, hinkt immer hinterher. Aber die Gewalt, das ist
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