Der Umfang der Hoelle
schon gar nicht ihre Institutsräume blicken zu lassen.
Das Sicherheitssystem des Gebäudes war aufwendig und entsprach dem letzten Stand der Technik. Man hätte meinen können, in dem auf der Straßenseite abweisend kahlen, zum See hin sprungbrettartig auskragenden Bau sei radioaktives Material gelagert oder Gold oder die Gebeine sämtlicher großer Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Andererseits besaßen heutzutage bereits Boutiquen und Nobelrestaurants den Charme von Hochsicherheitstrakten, sodaß im Falle einer Forschungsstätte dies um einiges plausibler erschien.
Freilich funktionierte diese extreme Abschottung auch nur, da das Institut für Gewalt nicht die geringste Förderung bezog, sondern allein aus dem Portemonnaie seines Chefs finanziert wurde. Die Konstanzer Stadtväter wiederum, die zwar den Namen des Instituts beklagten, aber die Anwesenheit eines berühmten Forschers doch zu schätzen wußten, wären niemals auf die Idee gekommen, sich um die Aktivitäten Bobecks zu kümmern. Es genügte ihnen, den berühmten Mann hin und wieder auf einem Empfang begrüßen zu dürfen. Er war ihnen unheimlich, viel zu klug, viel zu international, jemand, mit dem man nicht warm wurde, der keinen Dialekt sprach und dann auch noch die Perversion betrieb, als Atheist, der er bekanntermaßen war, die Renovierung katholischer Kirchen großzügig zu fördern. Ganz abgesehen von seiner Arroganz, sich selbst aus jeder Nobelpreisdiskussion herauszunehmen, so wie man sagt: Ich will nicht in den Himmel.
Auch widersetzten sich Bobeck und sein Team jener Ethologie, die eine vergleichende Verhaltenspsychologie betrieb. Es interessierte die Beaubecks wenig, das rabiate Gebaren männlicher Buntbarsche unter die Lupe zu nehmen. Sie hielten die Gegenüberstellung von Mensch und Tier für abgeschlossen und auch wenig hilfreich, um ein humanes Aggressionsverhalten zu verstehen. Was also bedeutete, daß man nicht irgendwelche Singvögel, Mäuse und Primaten konditionierte, sondern die verschiedenen Experimente ausschließlich am Menschen vornahm. Am bezahlten Menschen, versteht sich. Bei den Probanden handelte es sich zumeist um Personen, die in hauptberuflicher Weise ihren Körper und ihren Geist der Wissenschaft zur Verfügung stellten. Solche Leute gab es immer mehr. Leute, die es zuließen, daß man ihnen ihre Hirnhälften mittels chirurgischem Schnitt trennte, sie durchleuchtete, sie anzapfte, ihnen fürchterliche Bilder vor die Nase hielt, ihnen Streß bereitete, in ihren Träumen herumwühlte wie in einer fremden Damenhandtasche, sie bestrafte und belohnte und in jedem Fall ihre Würde antastete. Aber es handelte sich natürlich um Leute, denen in ihrem früheren Beruf und erst recht durch den Verlust desselbigen ohnehin die meiste Würde verlustig gegangen war, sodaß jetzt nur noch ein kümmerlicher Rest zur Ankratzung bereitstand. Darunter waren nicht wenige ehemalige Soldaten, viele Kroaten und Serben, die nun einiges dazu beitrugen, Gründe für den Verlust der Tötungshemmung zu untersuchen. Man hatte es dabei selten mit Monstern zu tun, da man schließlich auch keine Monsterforschung betrieb, sondern eine ganz durchschnittliche Gewalt studierte.
Die praktische Frage solcher Forschung, solcher Versuche am Menschen, ist natürlich die nach der Grenze. Von der Grenze einmal abgesehen, die der Gesetzgeber vorschreibt und die genaugenommen eher für die öffentliche Debatte als für die nichtöffentliche Praxis von Bedeutung ist. Wollte man sich immer an die Gesetze halten, käme man nicht weiter. Das weiß ein jeder. Und auch der bravste Kleinbürger noch versucht ein Gesetz, hat es für ihn reale Bedeutung, auf seine Lücken hin abzuklopfen. Das Gesetz schafft die Bedingungen, nach denen es zu umgehen ist. Die Art des Wetters bestimmt die Ausrüstung des Wanderers. Oder ob er lieber zu Hause bleibt.
Forschung freilich kann sich nicht erlauben, zu Hause zu bleiben, nur weil es ein wenig stürmt und schneit. Wenn es also im Institut für Gewalt um die Grenzen ging, die zu überschreiten oder eben nicht zu überschreiten waren, stellte man sich diese Frage nur bedingt im Rahmen der Gesetze. In erster Linie wurde die eigene Moral befragt. Vor allem aber der wahrscheinliche Nutzen berechnet. Man wollte schließlich weiterkommen und nicht die Leute verheizen, die man bezahlte.
Es war ein schöner, warmer Juli, die Insel Mainau ertrank im eigenen Blumenmeer, als Fred Semper im Büro seines Onkels auftauchte. Man hatte ihn
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