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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Reginas wollte es nicht wissen und wollte ebenso wenig, daß seine Substanz in die Hände einer interessierten Industrie geriet. Gleichzeitig war er zuviel Forscher, auch viel zu eitel angesichts einer trotz allem erstaunlichen Innovation, als daß er das Zeug ganz einfach im Klo hinuntergespült hätte. Worauf leider in der Wissenschaft immer wieder verzichtet wird.
    Der Finne war also an seinen alten Freund Siem Bobeck herangetreten, hatte ihn ins Vertrauen gesetzt und ihm ohne jegliche Vorgaben den gesamten Vorrat an Regina überantwortet. Für den oralen wie den intravenösen Gebrauch. Zusammen mit sämtlichen Aufzeichnungen, die zum Entstehen des Präparats geführt hatten. Eine chemische Analyse war also nicht mehr vonnöten. Mit diesen Unterlagen hätte man sofort beginnen können, in die Massenproduktion einzusteigen.
    »Nettes Erbe«, hatte sich Bobeck gedacht und die Packung in seinem Tresor verstaut, ratlos, was damit zu tun sei. Denn selbst für einen Tierversuch, der nicht anders als großangelegt sinnvoll gewesen wäre, hätte er zu viele Leute ins Vertrauen ziehen müssen. Und das wollte er nicht. Ganz abgesehen davon, daß Tierversuche im Institut für Gewalt nicht stattfanden und hätten ausgelagert werden müssen. Bobeck besprach sich allein mit Mona Herzig, wie er das eigentlich immer tat. Nicht so sehr, weil er auch ein intimes Verhältnis zu ihr pflegte (das hätte ihn eigentlich abhalten müssen), sondern weil er mitunter einfach keine Lust hatte, eine Entscheidung zu treffen. So war es dann auch Mona, die sagte: »Warten wir einfach ab.«
    Nun aber war es Bobeck, der fand, es sei an der Zeit, sich dieses Regina einmal näher anzusehen.
    »Wie meinst du das?« fragte Mona.
    »Wir könnten es testen. An Fred. An niemand sonst. Wenn er unbedingt darauf besteht, mit sich selbst konfrontiert zu werden, ist das ja möglicherweise der perfekte Weg. Er ist ein Draufgänger, es wird ihm einerlei sein, was er da zu schlucken bekommt. Hauptsache, es passiert etwas. Ich denke, wir müssen ihn nicht einmal täuschen. Er wird die Wahrheit mit Genuß und großen Erwartungen akzeptieren.«
    Das war nun ein völlig unwissenschaftlicher Zugang, riskant, illegal, abseits des Gewohnten, haarsträubend, zudem untypisch für Bobeck. Aber Mona hatte schon bemerkt, daß Bobeck seit einiger Zeit von sich selbst abrückte. Nicht in ein fremdes Fleisch hinein, aber doch in eine andere Sphäre seines Wesens. Jetzt einmal abgesehen davon, daß er Claire Rubin geheiratet hatte und in dieses dubiose Purbach gezogen war, fern von Konstanz, fern von der ganzen Welt. Die Veränderung Bobecks war eine grundsätzliche, man könnte sagen, hin zum Künstlerischen, wo nichts mehr einen Wert besitzt, weil alles gleich wertvoll ist, solange man es nur künstlerisch zu verpacken weiß. Bobeck, dessen frühere Handlungen – trotz aller zur Schau getragen Ironie – stets einem echten Ziel verpflichtet waren, ließ sich nun immer mehr von seiner Lust treiben. Er schien auf eine dezente Weise verspielt, wie man das eigentlich erst in einem viel höheren Alter erwarten durfte. Weshalb alte Menschen ja auch rechtzeitig aus dem Berufsverkehr gezogen oder auf harmlosen Ehrenämtern abgestellt werden.
    »Das kann man nicht machen«, erklärte Mona vorsichtig. »Schon gar nicht mit jemand aus der eigenen Familie.«
    Dies war nun offensichtlich nicht die Bemerkung gewesen, die Bobeck hatte hören wollen. Er wurde ärgerlich, behauptete, daß man gerade so etwas nur mit einem Familienmitglied versuchen dürfe. Anstatt sich wildfremder Menschen zu bedienen, zu denen man ein Verhältnis wie zu Mäusen und Ratten pflege. Nein, Fred sei der richtige. Und natürlich würde man sämtliche Vorsichtsmaßnahmen zur Anwendung bringen, medizinisch wie sicherheitstechnisch. Wozu auch zähle, niemanden in die genauen Hintergründe einzuweihen. Das werde man auch Fred klarmachen müssen.
    »Du glaubst doch nicht wirklich«, meinte Mona, »dich auf dieses wilde Bürschchen verlassen zu können.«
    »Natürlich tue ich das«, antwortete Bobeck. »Ich kenne dieses Bürschchen. Er ist ein echter Semper. Man kann ihn kaufen.«
    »Wenn wir ihm das Regina injiziert haben, wird er vielleicht nicht mehr der sein, den du zu kennen glaubst.«
    »Na hoffentlich«, sagte Bobeck und grinste. Meinte dann aber, es hätte etwas von einer besonders hübschen geometrischen Figur, ausgerechnet einem gewaltkranken Menschen wie Fred eine aggressionssteigernde Substanz zu

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