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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mir geht es um die Bindung. Ich will, daß du kriegst, was du dir wünschst, wenn ich krieg, was ich mir wünsche. Was ich mir aber sicher nicht wünsche, ist, daß du nach einem Monat, weil du deinen Porsche zu Schrott gefahren hast, einen neuen verlangst. Und meinst, mich erpressen zu können. Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, daß man mich nicht erpressen kann. Obwohl doch jeder einen jeden erpreßt. Aber bei mir spielt es das nicht. Darum bezahle ich meine Leute auch ordentlich. Ich bin mir nicht sicher, ob du den Zusammenhang begreifst.«
    »Bringt wohl nichts, wenn ich dir unterschreib, daß ich dich sehr gut begreife.«
    »Du hast recht, das bringt nichts. Wir werden es darauf ankommen lassen müssen. Aber ich glaube, du hast mich verstanden.«
    Mona Herzig hob flehend ihren Blick. Was sollte sie auch tun?
    Zwei Wochen später hatte Fred Semper seinen Porsche, den stärksten, den es gab, wenngleich auch das Rot nicht ganz der gleichzeitig glühenden wie samtigen Qualität sonnenverbrannter Haut entsprach, eher ins Orange driftete und somit an die Sonne selbst erinnerte, wenn sie dabei war, in die Berge oder ins Meer zu stürzen. Jedenfalls war Fred hochzufrieden und benutzte das Auto in einer ungewohnt sachten, ja liebevollen Weise. Und zwar kaum darum, weil dies der vorgeschriebenen Initiation einer fabriksneuen Maschine entsprach. Vielmehr war es ein Heranpirschen an den Wagen, wie man sich einem gefährlichen Wesen nähert und es einzulullen versucht. Fred schonte den Porsche, war allerdings fest entschlossen, ihn später um so wilder anzutreiben, dieses Gefährt an seine Grenzen zu führen. Den Wagen zu unterwerfen.
    Zunächst aber ging es um seine eigenen Grenzen. Beziehungsweise um die Überwindung derselben. Fred chauffierte seinen Porsche ohne Eile nach Konstanz, wurde in einem der institutseigenen Unterkünfte einquartiert (Blick auf den See, Blick auf den Kuhfladen) und erfuhr als erstes den routinemäßigen Check seines körperlichen wie geistigen Zustands. Physisch gesehen befand er sich in bester Verfassung, wenn man die gebrochene, deformierte Nase einmal ausnahm. Weit mehr Deformationen wies natürlich seine Psyche auf, die zudem nicht ganz so einfach zu untersuchen war wie die Bruchstelle einer Nase.
    Ach, wäre die menschliche Psyche nur eine Nase gewesen, die man richten konnte, verlängern, verkürzen, begradigen, pudern, schneuzen. Wobei nun allerdings erwähnt werden muß, daß Fred Semper nicht die geringste Bemühung unternommen hatte, seiner verunstalteten Nase eine Korrektur angedeihen zu lassen. Er weigerte sich. Er liebte sie, diese Nase, wie man Trophäen liebt. Und das, obgleich es sich ja um eine erlittene Verletzung handelte, um das Dokument einer Niederlage. Er liebte die Verletzung. Ja, möglicherweise liebte er sogar die Niederlage.
    Was er sonst noch liebte, war schwer zu sagen. Sicher nicht den Fußball. Freds Existenz als Hooligan entsprach durchaus der bürgerlichen Veranlagung, eine bestimmte Identität vorzuweisen, eine schlagwortartige Funktion zu erfüllen: Ich bin Bäcker und backe Brot. Ich bin Programmierer und schreibe Programme. Ich bin Hooligan und schlage Leute. Das war es auch schon. Den Fußball selbst empfand er als eine recht primitive Form von Sport.
    Nachdem man also den Menschen und die Person Fred Semper eingehend durchleuchtet und analysiert und seinen Status quo ermittelt hatte, begann man damit, ihm eine erste Dosis Regina zu verabreichen. Herzig und Bobeck taten dies durchaus in Anwesenheit ihrer Kollegen, welche nötig waren, um sämtliche Geräte zu bedienen, die die Semperschen Körperreaktionen aufzeichneten. Bloß, daß eben keiner von den Beaubecks wußte, worum es hier eigentlich ging. Und ebenso wenig danach fragte. Denn selbstverständlich wurden auch diese Leute ausgezeichnet bezahlt. Wie Semper seine Nase liebte, liebten die Beaubecks Konstanz, liebten ihren Job und die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen. Vor allem aber ihre elitäre und exklusive Stellung innerhalb des von einer Bürokratie schwer gezeichneten Wissenschaftsbetriebes.
    Zunächst einmal geschah nichts, was sonderlich aufgefallen wäre. Freisetzung von Noradrenalin und Adrenalin, Dopamin im Hirn, hoher Puls, hoher Blutdruck, alles beschleunigt, feuchte Hände, feuchte Stirn, kalte Füße, dazu Humor wie nach zwei, drei Bier, aggressive Gesten bloß in gewohnt ornamentaler Form. Erst als man Tag für Tag die Dosis steigerte, änderte sich die Sache. Der Humor fiel ab wie

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