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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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verwaschene Bilder.«
    »Wie ich schon sagte«, beharrte Mona Herzig, »Metaphysik.«
    »Nehmen wir Fotos, die völlig schwarz sind«, beharrte auch Siem Bobeck. »Vielleicht sind schwarze Fotos ein Indiz dafür, daß im Moment des Abdrückens eben nicht nur ein Auge, sondern beide Augen geschlossen waren. Und auch nichts Relevantes gedacht wurde. Das Schwarz wäre dann kein Entwicklungsfehler mehr, sondern würde viel eher die Absenz des Auges und eines Gedankens anzeigen. So wie ja auch dieses Foto, das hier vor uns liegt, nichts anderes beweist, als daß mein Neffe dank Regina für einen Moment – wenn auch nur in seiner Einbildung – in einem fremden Körper gewesen ist. Zumindest mit seinem Auge und zumindest mit seinem Unterleib.«
    Mona Herzig lehnte sich erschöpft zurück und meinte: »Die Sache entwickelt sich schlecht.«
    »Sie entwickelt sich hervorragend«, entgegnete Bobeck.
    Man ging schlafen.
    Mona hatte recht. Die Sache entwickelte sich schlecht. Man hätte den ganzen Versuch sofort abbrechen und das Faktum eines mysteriösen Fotos irgendwelchen völlig unmysteriösen, aber eben nicht nachvollziehbaren Umständen zuordnen müssen. Unerklärliches geschieht nun mal hin und wieder. Und Mona Herzig lag natürlich auch damit vollkommen richtig, den Begriff der Metaphysik bemüht zu haben. Selbiger dient vernünftigerweise dazu, das Ungewöhnliche oder Uneindeutige in ein nettes kleines Kabinett zu schubsen und die Türe abzuschließen. Es genügt durchaus, gewisse Dinge durch eine geschlossene Türe zu betrachten.
    Doch Bobeck wollte um keinen Preis aufhören. Und Fred Semper wollte es ebensowenig. Zunächst einmal aus dem simplen Grund eines sich einstellenden Suchtverhaltens. Die Schwermut ging ihm kräftig auf die Nerven. Er fand das Traklsche Lebensgefühl alles andere als erregend. Diese Abschnitte der Gewaltlosigkeit in Wort und Tat ängstigten ihn. Auch war es so, daß Fred Semper bei allem Ekel, den er im Moment des partiellen Hinüberspringens in einen fremden Körper und in eine fremde Unterwäsche empfunden hatte, in höchstem Maße neugierig geworden war. Wie schon erwähnt: Er liebte es ja nicht nur, zu verletzen, sondern auch verletzt zu werden. Und Regina bot ihm nun ganz eindeutig die Möglichkeit, diese beiden Lieben in haargenau ein und demselben Augenblick zu vereinen.
    Das Ekelgefühl, das gleich einer störenden Nebenwirkung dabei entstanden war, lastete Semper dem Umstand an, im Körper eines auf die Sechzig zugehenden Mannes, im Körper des eigenen Onkels gesteckt zu haben. Fred hatte nun mal wenig übrig für die Physis älterer Männer. Umgekehrt schien es ihm durchaus verführerisch, sich eine solche Situation in Verbindung mit Mona Herzig vorzustellen. Die Frau gefiel ihm ganz außerordentlich. Allerdings hatte er nicht das geringste Bedürfnis, ihr weh zu tun. Sie gehörte nicht zu den Leuten, die ihn zur Aversion animierten, wie es bei einem großen Teil derer der Fall war, die ihm da in den Gängen und Räumen des Instituts für Gewalt entgegenkamen. Übrigens war er intelligent genug, zu erkennen, daß man nur ausgesuchte Personen in seine Nähe ließ.
    Das Problem bestand nun also darin, daß es ihn drängte, in Mona zu fahren, wie Dämonen das wohl zu tun pflegen. Gleichzeitig aber widerstrebte es ihm, ihr einen Schmerz zuzufügen. Das machte ihn traurig und steigerte seine Schwermut. Zu allem Überfluß begann er, Mona Herzig gegenüber freundlich und charmant zu sein, als könnte sich solcherart ein neuer Weg auftun. Es war die pure Verzweiflung. Gesteigert dadurch, daß Mona ungeniert ihre Verachtung für den Probanden zum Ausdruck brachte. Wobei Fred nicht begriff, daß diese Verachtung dem Experiment als Ganzem galt. Ebenso wenig kannte er die Geschichte mit dem Foto. Nur fiel ihm auf, daß Siem Bobeck hartnäckiger als bisher auf dem Tragen einer Kamera bestand.
    Man wartete zwei Tage, in denen Fred in eine von Maschinen bewachte Depression glitt und dabei so ziemlich an jenen Traklschen Faun erinnerte, der »mit toten Augen schaut / Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten«. Am Nachmittag des zweiten Tages aber wurde eine nächste Dosis Regina verabreicht. Und auch diesmal geschah es, daß erst mit dem Abklingen der stimulierenden Wirkung, in die anbrechende Müdigkeit hinein, sich ein überraschender Aggressionsschub ergab, Fred von seinem Stuhl sprang und mit dem Finger auf einen der Assistenten zeigte, einen schmalgesichtigen Endzwanziger, und ihn fragte: »Wo

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