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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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haben Sie Ihre Brille gekauft?«
    Der Mann trug keine Brille. Er sagte, er verstehe die Frage nicht.
    Fred erklärte, er würde im Gesicht des anderen deutlich eine schwarze Hornbrille erkennen. Dann hob er langsam seine Hände an, Daumen und Zeigefinger in einer Weise ausgestreckt, wie es Optiker taten, die sich anschickten, eine Brille vom Kopf des Kunden zu nehmen. Und tatsächlich griff Fred seinem in höchstem Maße angespannten Gegenüber an die Schläfen, zog dann aber seine Hände zurück und sagte: »Sie haben recht, ich muß mich geirrt haben. Keine Brille. Kein Grund also für eine sentimentale Regung. Wie schön.«
    Und während er dies sagte, faßte er nach seinem vom Hals baumelnden Fotoapparat. Doch anders als bisher, versuchte er nun nicht, im Zuge seines Angriffs durch den Sucher zu sehen, um im Moment eines Fausthiebs ein Bild zu schießen, nein, er zog seinen Kopf aus der Trageschlinge und schlug mit der Kamera selbst zu. Und traf mit seinem Objektiv auch tatsächlich die Backe von Bobecks Mitarbeiter, welcher gedacht hatte, eine Attacke von Sempers freier Hand oder mittels der Beine abwehren zu müssen. Eine Abwehr, die er sich problemlos vorgestellt hatte. Immerhin verfügte er über ausgezeichnete Nahkampfkenntnisse und besaß einen durchtrainierten Körper. Aber das Durchtrainierte blieb auf der Strecke, verlor sich in der Überraschung. Einfach darum, da es den Regeln widersprach, den Fotoapparat sowohl als Waffe wie auch in seiner eigentlichen Funktion einzusetzen.
    Nun, von solchen Regeln war nie die Rede gewesen. Und seinen Auftrag, ein Foto zu knipsen, hatte Semper ja trotz allem erfüllt. Mitten im Schlag begriffen, hatte er abgedrückt. Und auch diesmal war ihm der fremde Schmerz deutlich ins eigene Bewußtsein gedrungen, der stempelartige Aufprall des Objektivs, das Splittern zweier Backenzähne, Blut im Mund, dann auch der Verlust des Gleichgewichts, das Aufschlagen des Körpers auf dem glatten, harten Boden, zuletzt der Eintritt einer Ohnmacht. Kurz zuvor die Wut, die durch den Kopf des Assistenten marschiert war wie ein gebeugter, alter Mann, der den Verfall der Zeit beklagt. Die Wut darüber, nicht besser aufgepaßt zu haben.
    Mit der Ohnmacht des Mannes war Semper wieder zur Gänze in seinen angestammten Leib zurückgekehrt, beinahe fröhlich, daß alles so gut geklappt hatte. Fröhlich ob seiner Leistung als Proband. Obgleich auch diesmal ein gewisser Ekel – freilich schwächer als im Falle seines Onkels – sich seiner bemächtigt hatte.
    »Das muß noch besser werden«, fand er. Weshalb er jetzt große Lust gehabt hätte, es gleich noch einmal zu versuchen und trotz eines prinzipiellen Widerwillens auch Mona Herzig irgendeine absurde Frage zu stellen, um ihr postwendend eine zu knallen. Oder was auch immer. Doch seine Müdigkeit war jetzt wie ein Berg von Papierschnipseln, in dem er versank. Auch war er von einem weiteren Mitarbeiter gepackt und in einen Stuhl katapultiert worden. Bevor man noch irgendwelche Fixierungen vornehmen konnte, war er eingeschlafen.
    Der Vorfall schuf böses Blut. Zwar war der Mitarbeiter rasch wieder aus seiner Ohnmacht erwacht, aber eine Gehirnerschütterung sowie die Einbuße zweier Zähne gehörten keineswegs zum Alltag des Instituts. Die Beaubecks wollten nun doch wissen, was hier eigentlich ablief, was genau dem Probanden injiziert wurde.
    Siem Bobeck verbat sich solche Anfragen. Allerdings erkannte er trotz aller Besessenheit die Gefahr, die sich aus der Unruhe ergab, welche seine Leute erfaßt hatte. Er brauchte keine Unruhe. Schon gar keine Neugierde. Umso mehr, als auch diesmal das von ihm selbst entwickelte Foto nicht den Angegriffenen oder auch nur seine Wange abbildete, sondern das erregte Antlitz Fred Sempers.
    Endlich stoppte Bobeck den Versuch und setzte Fred auf Entzug, wobei geringe Dosen anderer Stimulantien verabreicht wurden, um die Frustration in Grenzen zu halten. Später sollten auch diese abgesetzt und mittels Neuroleptika die Vergiftung des Semperschen Organismus behoben werden. Doch dazu kam es nicht. Es geschah das, was zu einem jeden Sicherheitssystem dazugehört wie das schlechte Gewissen zum guten Menschen. Irgend jemand machte einen Fehler, irgend jemand paßte nicht auf. Jedenfalls war Fred Semper einige Tage später verschwunden. Und mit ihm das Regina , das von Siem Bobeck höchstpersönlich verwahrt worden war. Allerdings nicht mehr im Tresor, sondern in einem Stahlschrank, den Semper in der simpelsten Weise

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