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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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im Fernsehen gesehen, zusammen mit Bildern eines versengten, verkohlten, verformten, ausgebrannten Autos. Der Tod von Dingen hat seinen eigenen Schrecken. Etxebeste war zusammen mit María Teresa Pérez Geber in diesem Auto unterwegs, als die schwere Bombe, die sie transportierten, wahrscheinlich, um irgendwo einen Mordanschlag zu verüben, explodierte. Beide waren mit einem Schlag tot, dem Schlag, der nach Ansicht mancher eine Ewigkeit dauert. Sie waren vor kurzem aus Frankreich, wo sie sich illegal aufgehalten hatten, für die Sommeroffensive der ETA Militar über die Grenze gekommen. Der Polizei zufolge waren sie in diesem Sommer bereits an drei Morden beteiligt gewesen. Sie nannten das anders, Worte kann man an- und ausziehen wie Kleider.

    Um Punkt 19 Uhr (man ist hier präzise, auch wenn die Bomben manchmal zu früh hochgehen) trifft der Sarg in Rentería ein. Das liegt nahe der französischen Grenze, dieser Krieg ist nicht sehr weit weg. Das Holz ist in die ikurrina eingeschlagen, die heiligebaskische Fahne und Anagramm der ETA . Ich bezeichne diese Fahne nicht als heilig, das tun die Menschen, die bereit sind, dafür zu sterben und zu töten, oder die, wie in den letzten Tagen in San Sebastían und Bilbao, von blinder Wut gepackt werden, wenn sie nicht als einzige, das heißt ohne die spanische Fahne, auf den Balkons der öffentlichen Gebäude gehißt wird. La guerra de las banderas , der Krieg der Fahnen, sagt man dazu, und dieser Krieg wäre komisch, wenn nicht der Tod mit im Spiel wäre. Der Bürgermeister von San Sebastían beschloß, gar keine Fahne hissen zu lassen, der Provinzgouverneur, der die Zentralregierung in Madrid vertritt, ordnete das Hissen aller drei Fahnen an: Provinz, Baskenland und Staat. Für den Gouverneur war der Bürgermeister ein »Feigling«, für den Bürgermeister ist der Gouverneur einer mit antibaskischer Einstellung, der die Bewohner seiner Provinz »haßt«. Hissen und Einholen der Fahnen sind von erbitterten Straßenkämpfen begleitet.
    Zurück zum Sarg. Die politische Partei, die eng mit der Terrororganisation ETA verbunden ist, aber trotzdem Vertreter in Gemeinderäten, Regionalparlamenten und sogar im Europaparlament hat (wo ihr Vertreter als einziger ganz Europas eine Resolution gegen den Terrorismus nicht unterstützte), heißt Herri Batasuna. Wenn ein Terrorist beerdigt wird, ist Herri Batasuna immer dabei. Hier wird die Gespaltenheit der spanischen Politik, ihre giftige, zwielichtige Schizophrenie, erst richtig deutlich. Was beerdigt wird, ist meist der Körper eines Menschen, der nach den Gesetzen des spanischen Staates ein Mörder ist. Als Legalist darf man in manchen Fällen auch potentieller Mörder sagen. Und doch läßt der Staat zu (muß der Staat zulassen?), daß es ein Ehrenbegräbnis gibt, von dem sich die potentiellen Opfer möglichst weit fernzuhalten haben. Das sind die Angehörigen der Guardia Civil. Es wäre auch schwer zu ertragen, sich anhören zu müssen, was da gesagt wird.
    Bei dem Begräbnis, von dem hier die Rede ist, rühmte der Spitzenkandidat der Herri Batasuna in Rentería das Verhalten der beiden toten Aktivisten und sagte, daß »sie tapferer als alle anderenwaren, denn sie hatten getan, was andere nicht wagen würden«. Danach tanzte ein dreizehnjähriger Junge die aurresku vor dem Sarg. Die aurresku steht in der Zeitung, die für ganz Spanien bestimmt ist. Offensichtlich wird sie so häufig getanzt, daß jeder weiß, was das ist. Die Zeremonie erhält dadurch einen mythischreligiösen Anstrich, wir kennen das von anderen Bewegungen. Die Eusko Gudariak wird gesungen (auch hier der bestimmte Artikel), gora ETA gerufen. Nationalismus als Religion.
    Die einzige Parallele, die ich in der modernen Zeit kenne, sind die schaurigen Heldenbestattungen der IRA , bei denen maskierte Männer (ich weiß, weshalb sie maskiert sind, aber trotzdem suggeriert das Fehlen des Gesichts, daß dies nicht die wirkliche Welt ist) über dem Sarg Salut schießen. Aber es gibt antike Parallelen, die das Dilemma des spanischen Staates besser illustrieren. Jeder tote Etarra ist ein Polyneikes, die Familienangehörigen und Kampfgefährten sind immer Antigone, und der Staat muß Kreon sein. Seit Sophokles es schrieb, hat jedermann sich mit dem Inhalt dieses Dramas befaßt, die Exegesen – rein philosophisch oder in Gestalt von Gedichten, Dramen, Opern – türmten sich zu einer Kathedrale von Schriften und Kommentaren auf, von einander folgenden und widersprechenden

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