Der Umweg nach Santiago
durchsetzen konnten, Kochbücher mit eigenartigen Rezepten. In diesen kleinen Läden kann man sich kaum umdrehen, greift man nach einem Buch, fällt irgendwo anders ein Stapel um, der Buchhändler verfolgt jede Bewegung dieses merkwürdigen, aber eindeutig ausländischen Kunden, der ausgerechnet in den Büchern herumstöbert, die die meisten Leute liegenlassen, und nicht selten ist der Buchhändler der Autor oder Dichter persönlich.
In Cáceres ist es nicht anders. Zwei dieser Läden habe ich am Ende der Siesta aufgesucht, wenn jeder an diesem Tag zum zweitenmal geboren wird und nur ich noch mit meinem alten, verstaubten Leben herumlaufe, und die Beute sind vier Bücher für meine Raritätensammlung. Rar im Sinne von selten sind sie meist und oft auch kurios. Aber nun habe ich wenigstens wiederein Rezept für die Zubereitung von Eidechse und von Stockfisch mit Honig nach Art der Mönche, ich weiß, wieviel Land Hilda Fernandez de Córdoba = die Gräfin von Santa Isabel besitzt (10 900 Hektar), dicht gefolgt von Manuel Falcó = Herzog de Fernán Núñez (8825 Hektar) und Frau Cayetana Fitz-James = Herzogin von Alva (4423 Hektar). Alva oder Alba, mit diesem Namen ist für jeden Niederländer der Schauder der Schulbänke verbunden, die gestaffelte Erinnerung an den Achtzigjährigen Krieg, ein von einem Jahrhundert zum nächsten weitergegebenes Gerücht von Grausamkeit und Unterdrückung, von Bösem, das aus dem Süden kam. An diesem Wort hängen so viele Spinnweben, die es unvorstellbar machen, daß es in Spanien noch Alvas gibt. Aber es gibt sie, und die derzeitige Herzogin, die aussieht, als sei auch sie einmal von Goya gemalt worden, verdiente einen Proust, um sie samt ihrer Welt, die vom Aussterben noch nichts wissen will, zu beschreiben. Dreizehnmal grande von Spanien sind die Alvas, nur der derzeitige Herzog ist kein geborener, sondern wurde dazu, denn er erhielt den Titel, als er die Herzogin heiratete. Jesús Aguirre heißt er, ein entlaufener Jesuit, von dem ich vor kurzem in El País einen Artikel über Adorno und die Frankfurter Schule las. »Jesús Aguirre ist der Herzog von Alva«, steht dann darunter, und die Reihe bekommt etwas Unwiderstehliches: Jesus, Herzog, Alva, Blutrat, Jesuit, Adorno. Wenn die Welt lange genug besteht, wird sie zu ihrem eigenen Anachronismus. In Estremadura hat man am Vorabend des dritten Jahrtausends andere Sorgen: 40 000 Landarbeiter sind hier arbeitslos, während gleichzeitig ganze Provinzen an Großgrundbesitz brachliegen oder komplett für Jagden verpachtet werden.
Die Macht des Adels ist geblieben, die der Inquisition ist verlorengegangen. Das darf man natürlich nicht bedauern, und doch, ohne dieses zentrale Gedächtnis für Ketzereien, Abweichungen und Auswüchse hätte ich vielleicht nie von Fray Alonso de la Fuente gehört, einem jener brennenden Geister, an denen Spanien im sechzehnten Jahrhundert so reich ist, ein besessener Narr, der überall Zeichen des Satans sah und auf der Suche nach Angehörigender Sekte der Alumbrados , der Erleuchteten, wie ein Irrer herumrannte. Manche Dinge sollte man vielleicht nicht dort lesen, wo man sie liest, aber nun ist es einmal passiert, ich bin in einer flimmernden Landschaft aus dem Auto gestiegen, um die heißeste Stunde des Mittags zu überbrücken, auf einem Sandweg abseits der Straße unter ein paar einsamen Steineichen mit ihrem steinernen Schatten. Über mir schreibt Buteo buteo ein unendlich langsames Gedicht in immer weiteren Zirkeln, um mich herum raschelt Centaurea aspera ihre schnarrende Geschichte, ein Erschauern verdorrten Papiers, eine lange Blattseite bis zum Horizont. Er paßt in diese Landschaft, Fray Alonso, er sah alles mögliche, was nicht zu sehen war, und beschrieb in seinen Memoriales die Stufen der unziemlichen Wollust, »eine qualitative Wertbestimmung von Küssen, Umarmungen und anderen libidinösen Berührungen« (Calificación cerca de los besos, abrazos y otros tocamientos libidinosos).
Aber er blieb allein mit seiner Unlust, niemand wollte auf ihn hören, er predigt, beschuldigt, verfolgt, bis er nach Jahren zum Hohen Tribunal der Inquisition in Madrid vordringt. Endlich findet er Gehör, ein Inquisitor wird nach Zafra entsandt, doch dieser Ort gefällt dem Ketzerjäger nicht, weil »die siebzig Priester von Zafra allesamt Juden sind«. Auch der Inquisitor ist betrübt, er kann nichts finden. Ihm war ein Paradies von Ketzern und fleischlichen Lüsten, von Zauberei und Teufelskunst verheißen worden,
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