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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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verlangsamter, die Farben gedämpfter, die Töne leiser. Die Männer an der Grenze tragen Uniformen vergessener Königreiche wie Bosnien-Herzegowina oder Montenegro, die Autoreifen machen ein anderes Geräusch auf dem kleinflächigen grauen Kopfsteinpflaster, die Sprache hat ihre Härte verloren und verschleiert die Worte. Ich bin in Portugal, in dem Teil, der Trasos-Montes heißt, über oder hinter den Bergen, jedenfalls weit entfernt vom Herzen des Landes, in etwas, was auch für die Portugiesen eine ferne Provinz sein muß, geschützt durch Berge und schlechte Verkehrsverbindungen und dadurch nach wie vor nicht von dieser Welt, ein verlassener Landstrich, prächtig und düster – wenn ich ein Instrument dafür auswählen müßte, so nähme ich das Cello, Ernst und Melancholie. Für einen Moment bin ich von den Ansprüchen befreit, die Spanien an einen stellt, selbst gedämpft fahre ich langsamer über die leeren, schmalen Straßen. Ich suche liebe Freunde auf, und ihr stattliches Haus verstärkt den Eindruck endgültig vergangener Zeiten.
    Es ist nur ein kurzer Besuch, ich muß weiter, ich habe mich nun mal Spanien verschrieben, for better or for worse , da gehöre ich hin. Aber ich habe Zeit genug, in diesen paar Tagen, um über die iberische Zweiteilung nachzudenken und darüber, wie sie sich in anderen Erdteilen fortgesetzt hat. Auch an der Grenze zwischen Bolivien und Brasilien hört die eine Sprache auf und die andere beginnt, das große Raster des iberischen Unterschieds ist mit den Kolonisatoren gereist. Die Akzentunterschiede zwischen Neuer und Alter Welt hört man natürlich genau, aber der Wesensunterschiedzwischen dem Spanischen und dem Portugiesischen reicht darüber noch hinaus. In Manáos denke ich nicht an Madrid und in Bogotá nicht an Coimbra. Ich war einmal tief enttäuscht, als ich in Macao kaum Portugiesisch hörte, aber damals litt ich, nach einer langen Reise, unter einem seltenen Anfall von Heimweh nach Europa. So etwas gibt es. Es beruhigt, angesichts der breiten tropischen Gewalt des Amazonas die bekannte, sanftfließende Verschleierung des Portugiesischen zu hören, als hätten die Hitze und das Unbekannte sich doch zähmen lassen. Und, erst im letzten Frühjahr, in einem ausgelaugten Stück brandigen Costa Ricas an der Grenze zu Nicaragua, ließ sich die Landschaft, die sich dem Gefühl nach von einem abwendet, mit Spanisch doch bändigen, zugänglich machen.
    Und die Niederlande? Es hat ganz den Anschein, als hätten wir in unseren Kolonien nichts hinterlassen außer ein paar Grabplatten und Kirchen, unsere Sprache hat sich verflüchtigt, hat sich über der Insulinde aufgelöst, ist verweht. Lag sie zu fern? Waren wir selbst, wie üblich, nicht genug an unserer Sprache interessiert? Oder wäre es verrückt gewesen, wenn man an der Javasee und der Malakkastraße heute Niederländisch hörte? Neidisch, das bin ich natürlich auf die Spanier und Portugiesen, und sei es nur der Literatur wegen, die aus dem fernen Westen zurückgeweht kam und der alten Sprache zu trinken gibt.
    Korkeichen, Olivenbäume, Brombeeren und Disteln, sie lassen mich denken, während ich die Straße entlangfahre, die Ortsnamen murmle, die sich in Spanien plötzlich wieder von einem Streicheln in einen Peitschenhieb verwandeln werden, wenn ich der Gnade verlustig gehe, der Konfrontation anheimfalle, der kompromißlosen Härte der Estremadura. Wieder der Grenzübergang. In Portugal mußte ich noch verschiedene Papiere ausfüllen, in Spanien werde ich sofort durchgejagt, und auch die Landschaft verändert sich auf einen Schlag. Hier bin ich, hier hast du es. Das wolltest du doch, dafür hattest du dich doch entschieden? Heute sind es neununddreißig Grad in Cáceres.
    In dem Augenblick, als ich die Plaza Mayor in Cáceres betrete, fällt es mir wieder ein, beim letzten Mal, wann immer das war, muß ich hier zur selben Stunde gewesen sein, der Stunde der Lähmung, des Todes am Nachmittag.
    Ich finde blind dasselbe Lokal, genau gegenüber dem Tor, das in die Altstadt führt. Damals konnte ich nicht hinein, weil ich weiterfahren mußte, heute weiß ich, daß alle Tore, durch die ich gehen wollte, geschlossen bleiben. Der Zeitungskiosk ist zu, ein unrasierter alter Mann am Nebentisch döst über den Resten eines Tellers migas , dem Armeleutegericht, ganz viel altes Brot in den Fettresten ausgelassenen Specks gebraten. Der Fernseher jammert über den Rest der Welt, der Spielautomat dudelt alle fünf Minuten eine

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