Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
Vom Netzwerk:
logisch waren oder schienen.
    Sogar das Wort »schienen« hat hier bereits den Beigeschmack eines ironischen Nachhineins, und folglich ist es keine Ironie, sondern verständliche Wirklichkeit, daß gerade die spanischen Juden die arabischen Truppen des Kalifen von Damaskus im Spanien des achten Jahrhunderts so herzlich begrüßen. Sie haben zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange Geschichte in Sefarad (der jüdische Name für Spanien) hinter sich, haben Ausschluß und Verfolgung durch die Westgotenkönige erduldet, und zwar seit der Bekehrung Rekkareds I . im Jahr 587 und den Dekreten Sisibuts 613.
    Sobald die Könige zum Katholizismus übergetreten sind, wird der jüdische Glaube ein Ketzerglaube. So scheint es zumindest, doch es ist komplizierter. In den zehn Jahrhunderten nach jener ersten Verfolgung erlebt das Judentum in Spanien merkwürdige ups and downs , glorreiche Zeiten, etwa als die drei Religionen in Córdoba zum Vorbild der Nachwelt in Harmonie miteinander leben, und dann wieder definitive Verfolgung und Verbannung unter Isabel la Católica am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Gerade unter den moslemischen Herrschern war es ihnen besser ergangen. Diese kannten die Toleranz gegenüber »den Völkern der Schrift«, Juden und Christen, da deren Religionen als Stufen auf dem Weg zu der Offenbarung galten, die Mohammed bereits zuteil geworden war. Beide Gruppen besaßen innere Autonomie, und diesem Vorbild folgten die kleineren christlichen Königreiche im Mittelalter. Dort lebten Mauren und Juden in ihren aljamas , sprich Gettos, regelten ihre eigenen Angelegenheiten und zahlten der Krone Steuern. Erst später erleidet dieses Modell Schiff bruch, und dabei spielen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale, religiöse und regionale Konflikte eine Rolle.
    Im frühen dreizehnten Jahrhundert kommen andalusische Juden nach Norden, eine kosmopolitische Stadtbevölkerung in einGebiet, das für sie rückständige Provinz war. Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft gab es große Meinungsunterschiede. Der aristotelische »Rationalismus« eines Maimonides stand den mystischen Strömungen sehr fern, die in anderen jüdischen Kreisen existierten. Die Rabbiner des Nordens, wo sich die Orthodoxie am stärksten behauptet hatte und wo der Zohar und andere Bücher der Kabbala ein religiöses Feuer entzündet hatten, das sich mit der wissenschaftlichen Kühle der jüngeren Aufklärung schlecht vertrug, setzten sich heftig zur Wehr; der Unterschied verschärfte sich dadurch weiter, daß die hochgebildeten Neuankömmlinge aufgrund ihrer Dienste und Verdienste für die dort ansässigen Machthaber eine Reihe von Privilegien genossen.
    Das Phänomen ist bekannt. Man beschäftigt sich mit irgend etwas, und auf einmal wird man von allen Seiten bedient. An diesem Abend gibt es im Fernsehen eine Folge der Sendereihe über Ketzerbewegungen, die in diesem Sommer in Spanien ausgestrahlt wird. Heute abend heißt das Thema Sefarad , das jüdische Spanien. Ketzerei meint hier ausschließlich etwas, was in der Vergangenheit eine Ketzerei war, denn die Schlußfolgerung der Sendung lautet nicht nur, daß die sephardischen Juden Heimweh nach Spanien haben, sondern eigentlich auch, daß Spanien Heimweh nach den Juden hat.
    Die ersten Bilder erkenne ich, es ist das hauchzarte Gespinst der Mauern der Synagoge von Toledo, der Sinagoga del Tránsito, des Durchgangs. Oder doch des Auszugs, denn davon handelt die Sendung. Die Notizen, die ich in dem düsteren Hotelraum mache, erweisen sich später als unlesbar, doch woran ich mich in erster Linie erinnere, ist der Anspruch. Plötzlich ist jeder, wie üblich, Jude: Cervantes, aber auch der heilige Johannes vom Kreuz, die heilige Teresa von Ávila, der große, düstere Dichter aus dem Goldenen Jahrhundert, Luis de Góngora, und wenn sie es selbst nicht waren, dann waren sie es zumindest ihrer linaje , ihrer Abstammung, ihrem Geschlecht nach.
    Das trifft zweifellos zu, und es ist gut gemeint (der Bericht endet mit der Feststellung, daß das jüdische Spanien genauso wirklichund spanisch ist wie das christliche), aber wenn man die linaje zugrunde legt, muß man den heftigen Antisemitismus mancher conversos (Konvertiten) auch dazunehmen, denn gerade sie spielten in dem Wortstreit mit ihren früheren Glaubensgenossen und bei deren Verfolgung eine Rolle. Torquemada, der Großinquisitor, war ein converso , und das gleiche gilt für Álvaro de Luna, der bereits 1451 Papst Nikolaus V . um die Einsetzung

Weitere Kostenlose Bücher