Der Umweg nach Santiago
einer Inquisition in Kastilien bat (um etliche conversos auszuschalten, die gemeinsam mit dem Adel seine Stellung am kastilischen Hof gefährdeten).
Daß der Auszug der Juden für Spanien katastrophale wirtschaftliche Folgen hatte, davon spricht die Sendung ebenfalls mit einer Gier, die an Scham erinnert. Isabella selbst schrieb ihrem päpstlichen Botschafter: »Ich habe große Katastrophen verursacht und Städte, Länder, Provinzen und Königreiche entvölkert, aber ich habe es aus Liebe zu Christus und Seiner Heiligen Mutter getan. Es sind nur Lügner und Verleumder, die sagen, ich hätte es aus Geldsucht getan, denn nie habe ich auch nur einen maravedi von den konfiszierten Gütern der Juden angefaßt.« Stimmte das? Die Juden durften ihr Geld nicht mitnehmen, und was sie vor ihrem Exodus in Prozessen verloren hatten, wurde in die letzten Kriegsanstrengungen gegen die Araber gesteckt.
Ich werde traurig von der Sendung, traurig von der sephardischen Musik, weil das ausgewählte Lied so lebhaft und fröhlich klingt, daß es nach Brechtscher Methode alles nur noch schlimmer macht, die Erpressung, den Diebstahl, die Folterungen, die Scheiterhaufen, das unentwirrbare Knäuel menschlicher Beziehungen, die tödliche Chemie, die Geld mit Aberglauben verbindet, Angst mit Eigennutz, Argwohn mit Berechnung.
Aus den großen, düsteren Sesseln um mich dringt kein Laut, die Schemen, die dort sitzen, rauchen, das heißt, sie leben. Sie lassen ihr Spanien widerspruchslos für jüdisch erklären und warten auf das elektronische Gedudel, das die Nachrichten ankündigt. Ich gehe hinaus, gebe mich den erhaltenen steinernen Kulissen der Vergangenheit hin, auf der Suche nach einem Restaurant.Als ich es gefunden habe und mich in das plötzliche Geplapper eines spanischen Spätabends aufgenommen fühle, höre ich an einem der Nachbartische einen Ober das Wort lagarto sagen, Eidechse.
»Haben Sie lagarto ?« frage ich.
Er winkt mir, ich solle mitkommen. In einer Vitrine liegt zwischen silbrigen Fischen und dem erfrorenen Damentanz geköpfter Frösche zweimal etwas, das für mich aussieht wie ein Kaninchenrumpf ohne Beine, ein Lendenstück, hinten schmal und dann langsam breiter werdend, beigefarben.
Lagarto , sagt er.
»Das?« frage ich. »Aber das ist so groß. Das muß ein Leguan gewesen sein.«
»Sie verwechseln das mit lagartijas , die sind klein. Das hier sind lagartos. Die sind viel größer.«
»Und die dürfen gegessen werden?«
»Aber natürlich! Der Herr dort drüben ist der Polizeikommissar. Was glauben Sie denn!«
»Wie werden sie gefangen?«
»Mit Hunden.«
Das ist weniger angenehm, aber bei Bruder Hase und Schwester Forelle denke ich auch nicht lange darüber nach.
Kurz darauf wird er aufgetischt, dezent angerichtet in einer Lache zerdrückter Tomaten, garniert mit den Kräutern seiner früheren Umgebung, Thymian und Rosmarin. Viele kleine Beinchen, die aufmucken, als wolle er noch mit mir debattieren. Das, und ein nächtlicher Spaziergang entlang den geschlossenen Adelshäusern, Abschied von Cáceres.
Und doch, im Takt meiner Schritte denke ich mir andere Szenarien für die Geschichte aus, mit der ich mich in der letzten Zeit beschäftigt habe. Reine Rhetorik also.
Arabische Fürsten hatten es im neunten und zehnten, christliche Könige im dreizehnten, vierzehnten und halben fünfzehnten Jahrhundert mit pluralistischen Regimen versucht, alle drei Religionen unter einem Fürsten. Es war nicht geglückt. Aber wer hätte was anders machen müssen? Juden und conversos wurden vom Volk (so heißt das) als Angehörige der höheren, unterdrückenden Schicht betrachtet. Hätten sie sich nicht mit fiskalischen und anderen Regierungsangelegenheiten betrauen lassen sollen? Hätten sie sich mehr um die um so vieles größere Gruppe ihrer Glaubensbrüder, Handwerker zumeist, kümmern müssen, die sich von der Macht ferngehalten und mit denen sie sich auf eine Debatte Aufklärung versus Obskurantismus eingelassen hatten, oder, von der anderen Seite aus betrachtet, eine Debatte Offenbarungen versus heilloses, weltliches Neudenkertum?
Über die grauenvolle Bigotterie der Kirche schweigt man am besten, was aber ist mit jenen, die sich ihrer auf so höllische Weise bedienten, weil die Vergangenheit angeblich gelehrt habe (weil die Geschichte gelehrt habe!), daß Pluralismus nicht möglich sei, daß Spanien nur als ein Staat mit einer Religion überleben könne? Daß im Gegenteil ein kosmopolitischeres, aufgeklärteres und
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