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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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verirrende Schlösser, eine kleine Tür in der Tür. Militärgotik, dieses Tor wurde zweihundert Jahre nach der Zeit von El Cid gebaut, und doch muß ich an ihn denken, denn vor diesem Tor stand hier ein anderes, und durch das Tor muß er die Stadt betreten haben, nachdem er den Almoraviden Jusuf besiegt hatte, umringt von seiner mesnada , seinem eigenen kleinen Feudalheer, die almófar , die Metallkappe seines Kettenhemds, zurückgeschoben, ein Mann, der in seine eigene Legende ritt, Rodrigo Díaz de Vivar, der Söldner, der sich zwei Parteien verdingen konnte und im moslemischen Valencia seine eigene Enklave begründen sollte, El Cid Campeador, der kämpfende Sidi, Meister wechselnder Allianzen und damit so recht das Symbol dieser verwirrenden Jahrhunderte, in denen die rivalisierenden christlichen Fürsten immer weiter in den moslemischen Süden vordrangen. Doch auch da veränderten sich die Grenzen der Emirate und Kalifate schneller, als man Karten zeichnen konnte, Emire waren Königen tributpflichtig und umgekehrt, am meisten gleicht es vielleicht noch einem gigantischen, langsamen Kriegstanz, bei dem die Tänzer immer wieder den Partner tauschen, bis die Christen schließlich 1212 die Macht der Almohaden bei Las Navas de Tolosa brachen und die letzte Phase der Reconquista begann, die aber dennoch fast dreihundert Jahre dauern sollte. Für diese Schlacht hatten die Christen ein Heer zusammengetrommelt, in dem El Cid, falls er dann noch gelebt hätte, gern mitgekämpft hätte. Die Könige von Kastilien, Navarra, Aragonien, französische Ritter, Söldner, die Ritter-Mönche der neuen Militärorden – langsam zogen sie vom Duero und Ebro zum Tajo über die weite, kahle Landmasse der Meseta, die noch immer davon weiß und die Erinnerung daran in Namen und Burgen bewahrt, ebenso wie in den Mauern und Toren der Städte, wie hier.Wer bei all diesen Geschichten über den Kampf zwischen Mauren und Christen an Haß denkt, hat die Sache nicht richtig verstanden. Natürlich waren Interessen im Spiel und natürlich war die große, historische Bewegung, rückblickend betrachtet, auf die Vertreibung des Islam aus Spanien gerichtet, auch wenn dieses zu jener Zeit noch nicht als Einheit existierte. Aber der Prozeß ging über siebenhundert Jahre, und in dieser unendlich langen Zeit war es zu so viel Vermischung, so viel gegenseitiger Beeinflussung gekommen, daß die beiden Parteien gewissermaßen in die Haut des anderen geschlüpft waren. Sie hatten untereinander gelitten, aber auch Bündnisse geschlossen. Bekehrungen, Toleranz, Mischehen, Übersetzerschulen, Freundschaften, geistiger Austausch, Synkretismus, und das über eine so lange Zeit hinweg, machten (und machen noch immer) aus Spanien ein Land, das sich mit keinem anderen europäischen Land vergleichen läßt. An den Höfen von Al-Andalus studierten Muslime, Juden und Christen die Werke Platons und Aristoteles’, beim Tod Ferdinands III . im Jahr 1252, der León und Kastilien endgültig unter einer Krone vereinigt hatte, kamen hundert Abgesandte Mohammeds I . von Granada, und seine Grabinschrift wurde in lateinischer, arabischer, kastilischer und hebräischer Sprache geschrieben. Sein Sohn, Alfonso el Sabio (der Weise), bildete Kommissionen aus Juden, Muslimen und Christen, die unter seiner Leitung an zwei Monumentalwerken arbeiteten, Las Tablas Alfonsíes und L os L ibros del Saber de Astronomía , während er selbst unterdessen seelenruhig weiter Krieg führte und Cádiz und Cartagena nach jahrhundertelanger muslimischer Herrschaft wieder in christliche Hand brachte. Daß die Ritter beider Seiten, die diese Schlachten zu schlagen hatten, dafür einen Zeitpunkt vereinbarten, macht aus dieser Phase der Reconquista fast eine höhere Form von Spiel.
    Es ist unendlich faszinierend, sich in die praktischen Details dieser Gesellschaften zu vertiefen: Im Jahr 1250 gibt König Jaime I . von Aragonien den mudejares (Muslimen unter christlicher Herrschaft) des Uxó-Tales eine Charta, in der verbrieft war, daß»alle Muslime unter ihrer eigenen sunna (Gesetz) leben sollen ... ihre Kinder im Koran unterweisen lassen können, ohne davon den geringsten Nachteil zu erleiden ... sich überall in unserem Königreich frei bewegen können und dabei von niemandem gehindert werden ... ihren eigenen alcadi und alamí (Richter) ernennen können« etc. Alles wird in diesem Dokument geregelt, kein Christ darf sich auf ihrem Land oder in ihren Häusern niederlassen und weder »wir (der König)

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