Der Umweg nach Santiago
Abschied und Trug. Louis Couperus glaubt an die Vorderseite, an die bittere Bonbonniere: »Des Morgens früh kommt der Bischof von Avila mit kleinem Gefolge bis zum Tor der Sieben Stockwerke am Fuße der Alhambra, im Ulmenhain. Und während er sich nähert, reitet Boabdil den Schloßweg hinab, inmitten seiner getreuen Edlen. Und er spricht: Geht hin, oh Herr, und nehmt Besitz von meiner Festung, die Allah Euch vergönnt hat, um die Mauren für ihre Sünden zu strafen ...
Dann reitet der Unglückliche weiter. An der Wegbiegung erwarten ihn die Katholischen Könige, Ferdinand und Isabella. Beide sind hoch zu Roß, umgeben von glanzvollem und mächtigem Gefolge. Weiter entfernt, in der Vega, liegen ihre Heere, zwischen den weißen Zelten blitzen die Waffen in der Sonne. Das Zeremoniell für die Übergabe der Stadt ist zuvor festgelegt worden. Boabdil soll auf seinem Roß bleiben, die Demütigung des Kniefalls wird ihm erspart. Er reitet näher. Als wären sie niemals Feinde gewesen, grüßt er seine Bezwinger, grüßen die siegreichen Fürsten ihn. Hin und her, hoch zu Roß, werden höfliche Worte ausgetauscht, als wäre es nichts als eine belanglose Zeremonie. Doch Boabdil erstickt die Stimme in der Kehle. Nun übergibt er die Schlüssel Granadas an Ferdinand, der sie voll Dankbarkeit entgegennimmt. Auch Isabella, gerührt, spricht Boabdil ein Wort des Trostes zu. Und uns bewegt es ebenfalls, diese bis ins Herz gehende Ritterlichkeit auch bei jener stolzen Frau, nach den Intrigen der Politik, nach den Greueln des langen Krieges ...«
Den Betrug und die Kehrseite bezeugt eine andere, weit ältere Stimme aus einer Handschrift in der Biblioteca Nacional in Madrid (vitrina reservada 245, fol. 87-88). Es ist die Stimme von Yuce Banegas, Mitglied einer führenden Moslemfamilie Granadas: »Mein Sohn, ich weiß, daß dir wenig von dem bekannt ist, was in Granada geschehen ist, wundere dich indes nicht, daß ich mich dessen entsinne, denn es vergeht kein Augenblick, da dies mein Herz nicht bewegte; es gibt keine Minute, keine Stunde, da es an meinen Eingeweiden nicht fräße ... meines Wissens hat niemand ein Unglück wie das der Söhne Granadas je beweint. Zweifle nicht an meinen Worten, denn ich selbst war Zeuge, mit eigenen Augen sah ich, wie die Frauen unserer Familien, Verheiratete und Witwen, verhöhnt wurden, und ich sah, wie mehr als dreihundert junge Mädchen öffentlich versteigert wurden; mehr werde ich nicht erzählen, es ist mehr, als ich ertragen kann. Drei Söhne habe ich verloren, alle drei für den Glauben gestorben, und dazu zwei Töchter und meine Frau, und nur diese eine Tochter ist mir zum Trost geblieben: Sie war damals sieben Monate alt. Ich weine nicht um die Vergangenheit, denn es gibt keinen Weg zurück. Aber ich weine um das, mein Sohn, was du noch zu Lebzeiten erleben wirst und was dich in diesem Land, auf dieser Halbinsel Spanien, erwarten wird. Möge es Gott um der Heiligkeit des Korans willen gefallen, daß sich als unbegründet erweise, was ich zu sagen habe, und daß es nicht so komme, wie ich befürchte, aber selbst dann wird unsere Religion leiden. Was werden die Menschen sagen? Wo sind unsere Gebete geblieben, wohin sind sie gegangen? Was ist mit der Religion unserer Väter geschehen? Menschen mit Gefühl bleibt nur noch Bitterkeit. Und was am meisten schmerzt, ist, daß die Muslime sein werden wie die Christen: Sie werden sich kleiden wie sie und ihre Speisen essen ... Wenn ein Überleben schon nach so kurzer Zeit schwer ist, was werden die Menschen dann am Ende dieser Zeit tun? Wenn Eltern sich schon jetzt von ihrer Religion abwenden, wie sollen ihre Ururgroßkinder sie dann in Ehren halten? Si el rey de la Conquista no guarda fidelidad, qué aguardamos de sus suzesores?
Granada, Alhambra
Wenn der König der Eroberung sein Wort schon nicht hält, was haben wir dann von seinen Nachfolgern zu erwarten?«
Die Geschichte hat die Antwort gegeben, die er erwartete. Die Könige schlafen in der Capilla, Boabdil wurde alt am Hofe zu Fes oder fiel auf dem Schlachtfeld von Abu Aqba bei der Verteidigung eines Königreichs, das das seine nicht war, in Spanien setzte das Zeitalter der Zwangsbekehrungen ein, des Exodus, des Mißtrauens, des Wahns von der limpieza de sangre , der Reinheit des Blutes, der Verfolgung und Inquisition.
Einst hatte es geheißen, die Weisheit wurzele bei den Chinesenin der Hand, bei den Griechen im Kopf, bei den Arabern in der Zunge. Der Klang des Textes war fast heiliger
Weitere Kostenlose Bücher