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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Ibn Ruschd (Averroes) zu Aristoteles, das Kratzen von Federn, Rascheln von Blättern, das Umsetzen von Worten in Worte, von Schrift in Schrift.
    Und wie seltsam spielte das Schicksal doch, denn diese Texte und Theorien, diese gnostischen und wissenschaftlichen Kenntnisse, mathematischen, astronomischen, poetischen, medizinischen, philosophischen Thesen und Kommentare, das Wiegen und Wägen von Rede und Gegenrede, all dies sollte in die Renaissance münden, die ihrer Welt, nicht der unseren. Wir, die wir dieses Wissen vermittelt hatten, sollten nicht mehr daran teilhaben, die Bewegung, die uns vertrieben hatte, sollte sich von uns abwenden und sich nach Westen richten und dort eine neue Welt und Reichtum finden, und wir, wir hinter dieser Wasserscheide bleiben und nie erfahren, was für ein Islam in Spanien geblieben war und zusammen mit den Juden die Spanier in eine Zukunft begleitet hatte, die zu groß für sie war und die sie, weil sie sich übernommen hatten, in eine Isolation trieb, die wie die unsrige Jahrhunderte dauern sollte. Die Juden hatten sie bereits vor uns verjagt, nicht wissend, daß sie damit einen Teil ihres eigenen Körpers amputierten, und dann waren wir an der Reihe. Einst, unter anderen, aufgeklärteren Königen, Emiren, Rabbinern, hatten die drei Völker, deren Religion auf jeweils ein Buch zurückgeht, hier in Formen der Trennung und Einheit zusammengelebt, die es in der Welt so nicht mehr geben sollte, als hätten die Männer jener früheren Jahrhunderte beweisen wollen, daß es möglich war. Doch durch die Bücher, die wir übersetzt hatten, sollte das aufgeklärte Abendland nie mehr die Welt eines Buches sein, es würde sich mit solcher Geschwindigkeit von sich selbst entfernen, daß es sich in der Angst und Verwirrung, die dadurch entstanden, all dessen, was sichtlich anders war, entäußern mußte, und so sollten unsere Wege sich trennen, drei Sprachen, die nicht miteinander sprechen. Und währenddessen sollte die Alhambra dort liegen, Erinnerung an die Pracht der Nasriden, die letzte Blüte. Sie würde schlummern und verfallen und in neuem Glanze erstehen, und noch immer würden die Worte von Ibn Zamrak im Stuck des Saals der zwei Schwestern geschrieben stehen, die im Mondschein noch immer aussahen wie in gefrorenen Schnee gemalt, und die nicht einmal in der Sprache des Siegers etwas von ihrem Glanz einbüßten:
    Jardín soy yo que la belleza adorna:
    Sabrás mi ser si mi hermosura miras.
    Por Mohámed, mi rey, a par me pongo
    de lo más noble que será o ha sido.
    Obra sublime, la Fortuna quiere
    que a todo monumento sobrepase.
    Cuánto recreo aquí para los ojos!
    Sus anhelos el noble aquí renueva.
    Las Pléyades le sirven de amuleto;
    la brisa le defiende con su magia ...
    (Ich bin ein Garten voll von Zier, mit jedem Schmuck bekleidet. Erkenne mich, indes dein Blick an meinem Reiz sich weidet! Durch Allah nur, durch Menschen nicht, konnt’ ich so herrlichwerden; ich bin an Glückverheißung reich, wie sonst kein Bau auf Erden. Des Schicksals Wille selbst läßt mich, höchste Schöpfung, alles andere übertreffen. Welch ein Genuß den Augen! Stets erneuert wird die Sehnsucht. Als Amulett dienen ihm die Plejaden, mit ihrer Zauberkraft behütet ihn die Morgenbrise.)
    Detail der Synagoge in Toledo, Sta. Maria la Blanca
    So schweifen die Gedanken im Generalife zwischen Rosen, Palmen und Lorbeerbäumen; dunkelgrünes Wasser mit schwimmenden nenufares und versteckten Fröschen, Gemurmel von Springbrunnen unter Zypressen, in der Ferne die weißen Berge. Hier spazierten Théophile Gautier und Richard Ford, Washington Irving und Louis Couperus, ein doppelter Kodex von Glück und Melancholie schreibt die Gedanken vor, nur wer mit Plastik gepanzert ist, kann sich dem entziehen. Die rötlichen Mauern der Alcazaba, deren Tönung sich von Stunde zu Stunde verändert, die geordneten Gärten rings um mich, der angefressene Backstein der Festungsmauern, der bei bestimmtem Sonnenlicht zu bluten scheint, die Tore und Patios, die ich an diesem Tag gesehen habe, die bis zum Wahnsinn getriebene Verfeinerung der Ornamentik in Gängen und Sälen, und dann plötzlich, inmitten all dessen, wie ein Eindringling an die Reste dieses verschwundenen Orients geklebt, der Renaissancepalast Karls V . als ein Diktum von Macht und Sieg. Streng steht er da, ein schroffes Quadrat, das einen vollendeten Kreis umschließt: Ein Innenhof wie ein Platz, einer der schönsten offenen Räume, die ich kenne, als ob selbst Luft

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