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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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sprach, doch Liebe zu seinen Mitmenschen hatte sie ihm nicht vermittelt, die Tinte, in die er seine Feder tauchte, war in irgendeinem finsteren Winkel der Hölle aus Galle und Essig und Schwefel gebraut. »Für anderthalb Cent«, sagt er, »wird ein Navarrese einen Franzosen niederstechen. Sie sind durch und durch bösartig, von dunkler Farbe, häßlichem Äußerem, liederlich, pervers, verachtenswert, untreu, korrupt, geil, versoffen, erfahren in allen Formen von Gewalt, wüst, wild, unehrlich, unaufrichtig, ungläubig und unverschämt, grausam und streitsüchtig, außerstande, sich anständig aufzuführen, von Natur aus mit allen Untugenden versehen.« Mit einem Wort: nette Zeitgenossen, und die Pilger von damals, die von Hospiz zu Hospiz ziehen mußten, noch knapp tausend Kilometer Fußmarsch vor sich hatten und eine Ewigkeit von ihrer vertrauten Welt entfernt waren, wird das sicher sehr beruhigt haben. Picaud warnt vor »der barbarischen Sprache der Basken«, vor »Fährleuten, die einen zu ertränken versuchen«, vor Räubern und Betrügern, vor Wölfen und Eis und Schnee, von den anderen Gefahren, denen für die Seele, ganz zu schweigen. Auf kaum einem Tympanon fehlen die Verdammten, rückwärts fallen sie in die Unterwelt der Hölle wie zum Beispiel in Sangüesa, die Posaunen ertönen, Teufel mit großen, haifischzahnstarrenden Mäulern warten darauf, in dieses weiche, verderbte Fleisch zu beißen, die Bösartigkeit der Bilder ist immer etwas überzeugender als der verzückte Glanz des ewigen Lohns.
    Wer kommt schon nach Uncastillo? Es liegt so verloren im Nichts und weit von allem entfernt, es muß der leere Fleck auf der Karte gewesen sein, der mich einst dorthin trieb, oder der Name, ich weiß es nicht mehr. Ich war immer zur falschen Zeit für die Kirche und zur richtigen für den Metzger da. Vielleicht war die Kirche auch wirklich immer geschlossen, mir genügte bereits der kleine dreifache Bogen über dem Südeingang, die Tiere mit den Köpfen über und den Füßen unter dem Türrahmen, der Mann, der das Maul eines Monsters aufhält, der kleine Mann mit dem Krug, die beiden, die aus derselben Schüssel essen, steinerne Märchen, vor Jahren zum ersten Mal gesehen, die Sonne am höchsten Punkt des Himmels, Brand ohne Flammen. Ich hatte Hunger, bei jenem ersten Mal, und gerade als ich die Metzgerei betrat, kam der Metzger aus seiner Küche, eine dampfende Schale Blutwürste in beiden Händen. Río Riguel heißt der Fluß, der dort fließt, ich suchte mir einen Rastplatz und breitete meine Schätzeaus – Käse, weiß und glänzend, Brot, wie man es auf den Stilleben von Meléndez sieht, die Blutwurst von einem Dunkelviolett, das schon ins Schwarze spielt. Sie wird mit Zimt und Reis zubereitet, die Körner glänzen wie weiche kleine Emailsplitter. An eine Herde auf der anderen Seite des fast ausgetrockneten Flusses erinnere ich mich noch, an säuselnde Pappeln, die Reglosigkeit des Hirten, den Hund, der weite, nervöse Kreise um die Herde zog. Hirte, Herde, Fluß, Brot, Jahre später fuhr ich zum zweiten Mal nach Uncastillo, nur, um das gleiche noch einmal zu erleben. Das muß eine Form von Hochmut sein, so als wollte man ein Stück der Ewigkeit in sein Leben weben, doch diesmal wurde er nicht bestraft: Als ich die Metzgerei betrat, kam der Metzger wie beim ersten Mal mit seiner dampfenden Schale voll Würsten in den Laden, und mit einemmal sah ich vor mir, wie er und ich dieses Ballett noch jahrhundertelang aufführen würden, er, der Metzger, und ich, der Kunde, und wie der Schatten der Kirche auf der gegenüberliegenden Seite die immer gleiche Zeichnung auf die kleinen, zu Quadraten gelegten Pflastersteine auf dem Platz werfen würde. Jetzt ist es das dritte Mal, und Winter. Den Metzger gibt es noch, aber seine Würste sind kalt, genauso wie der Boden am Fluß. Die Herde und der Hirte sind nicht mehr da, aber der steinerne Mann hält noch immer das Maul des Monsters auf, und das ist die einzige Form von Ewigkeit, die es gibt. Ich erzähle dem Metzger meine Geschichte, der darüber lachen muß, aber vielleicht auch denkt, daß ich verrückt bin, und dann verfalle ich wieder der weiten Ebene.
    An der N 240 von Jaca nach Puente la Reina, Embalse de Yesa
    Logroño, Navarrete. Rätsel, die zu diesem Weg gehören: Plötzlich habe ich etwas gesehen, ohne zu sehen, etwas in einer Mauer, Worte, Blume, etwas, das Aufmerksamkeit erheischt. Ich parke das Auto und gehe zurück. »Peregrino, reza una oración en

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