Der Umweg nach Santiago
selben Jahr, Exil-Katalanen in Perpignan die sardana hatte tanzen sehen, Gemeinsamkeit, die noch eine Form hatte, die des Tanzes, die des Gesprächs, das sich ebenfalls in einem sich bewegenden Kreis abspielte und für mich da oben, wo ich die einzelnen Wörter nicht unterscheiden konnte, wie ein gedehntes, unverständliches Gedicht klang. Die sardana ist ein gemäßigter Tanz, der nur dann und wann heftig auflodert und doch immer, ganz wörtlich, im Griff gehalten wird, und so war es auch mit diesem peripatetischen Gespräch unten auf dem Platz, alle Hast war ihm fremd, und ich saß da mit meinem nördlichen, autistischen Selbst auf dem Balkon und war neidisch. Ist dieses Spanien verschwunden? Ich weiß es nicht, so schnell lassen sich die Konstanten der Geschichte nun auch wieder nicht verjagen. Vielleicht hält es sich nur verborgen, bis die plötzlichen Stürme falsch verstandener Modernität sich wieder gelegt haben. Vielleicht aber bin ich auch nur hoffnungslos altmodisch und habe Heimweh nach den falschen Dingen.
Durch leichten Schnee gehe ich zu meinem Hotel, die Flocken liegen wie gewichtslose Blüten auf meinem Mantel, ein geschmückter Pilger. In meinem Zimmer schaue ich mir noch einmal eine der Reproduktionen an, die ich an diesem Nachmittag dem blassen Priester abgekauft habe: Adam und Eva, ein Fresko aus dem dreizehnten Jahrhundert, das natürlich in der Kirche hätte bleiben müssen, aus der man es entfernt hat, der Kirche von Urries. Anstatt des einheitlichen Goldes, das einst den Hintergrund bildete, tanzen oder stehen die beiden rosa Figuren jetzt auf einer lädierten, verkratzten Wand, wodurch die an sich schon unbeabsichtigt düstere Darstellung eine verstärkte Modernität erhält und einen unmittelbar berührt. Schräg stehen unsere Ureltern mit ihren rosa länglich-nackten Körpern da. Evas Brüste zeigen nach unten, sind von einer anderen Farbe als der Restihrer Haut, weiße Linien zeigen bei beiden die Rippen an, die Bäuche sind ulkig gewölbt, die Geschlechtsteile langgereckt. Sie ist im Begriff, ihm diesen elenden Apfel zu füttern und uns damit der Ewigkeit zu berauben, und ihr Lachen ist so tückisch wie das einer Zauberhexe.
Der nächste Morgen hat all diese Bilder vertrieben. Ich fahre in die Berge, zum Kloster San Juan de la Peña. Der Weg führt durch die Sierra de la Peña, Kurven, weite Ausblicke, Steineichen, in der Ferne Berge. Zwischen dem Kloster und Jaca gibt es keine Herberge, ich frage mich, wie die Pilger hier entlanggezogen sind. Das letzte Mal war ich mit einem Team des niederländischen Fernsehens hier; ich sollte durch die Sendung führen, deren Thema die Pilgerreise nach Santiago war, und war dafür eigens aus Kalifornien gekommen, wo ich damals für eine Zeitlang lebte. Doch beim Abflug auf der anderen Seite des Globus war etwas schiefgegangen; als wir in der Luft waren, konnte der Pilot das Fahrwerk nicht mehr einziehen. Wir mußten zurück, doch dafür mußten erst 140 000 Liter Kerosin aus den Tanks gepumpt werden, und so flogen wir da mit vier beängstigenden weißen Schaumfontänen herum; für einen Moment der Gedanke an den Tod, der um das Flugzeug schwebte, die Ohnmacht von Tieren, die selbst nicht fliegen können. Bei der Landung Verwirrung, ich wußte, daß das Team in Pamplona auf mich wartete, mein Koffer war verschwunden, es war Dezember und ich hatte keine Winterkleidung, und so stand ich, für mein Gefühl ohne Übergang, plötzlich in diesem verlassenen Kloster, und alles, was in den vierundzwanzig Stunden davor passiert war, von der zu natürlichen Natürlichkeit, mit der der Pilot das Unheil bekanntgegeben hatte, bis zu diesen verbissenen gipsfarbenen Wasserströmen vor meinem Fenster und den Japanern, die sich mit ihren Fotoapparaten vor mich hängten, weil man von meinem Platz aus am besten sehen konnte, das gehetzte Umsteigen und die Reise über Miami und Madrid, und dann die plötzliche Stille dieses Nests in den Bergen, die blinden Kugelaugen der Figuren an den Kapitellen im Kreuzgang, die Gräber der Königevon Aragonien, die Felswand, die bis in den Himmel zu reichen schien, das alles verlieh dem Augenblick, in dem ich da stand, eine idiotische Unwirklichkeit, als wäre ich durchscheinend geworden und als wären die Worte, die ich sprach (über das himmlische Jerusalem, das Thema eines der Kapitelle), nur Luft und könnten unmöglich von einem Mikrophon eingefangen werden. Aber auch diesmal ist etwas nicht, wie es sein soll, diese Klöster
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