Der Umweg nach Santiago
auf der großen Herbstausstellung im Petit Palais ( Von Greco bis Picasso , 1987) zu sehen. Hier soll er sich als der heilige Lukas am Fuße des Kreuzes gemalt haben. Das Alter ist das gleiche, aber damit hört es auch schon auf. Dieser Mann ist kahlköpfig, sein Gesicht scharf, sein Mund in einer weichen Demut verzogen, zu der der Mund seines anderen Ich sich nie verziehen lassen könnte. Als Gemälde ist das zweite Bild unendlich schöner, der tote oder sterbende Mann am Kreuz und der Lebende mit seiner Palette darunter leuchten in dieser Art von Finsternis auf, die dem Tenebrismus seinen Namen gegeben hat, das Holz des Kreuzes ist nur eine Nuance vor dem so nächtlichen Hintergrund, nichts ist da außer den beiden Männern, dem Schwarz des Todes und der Nacht, eine monochrome Fläche, die einen, tritt man nahe heran, in sich hineinsaugt. Dann sieht man auch, genau wie beim Weiß, die geheimnisvolle Machart dieser Primärfarben, erst in sich ertragen sie Nuancen, und wenn man sich ungebührlich nahe davorgestellt hat, sieht man, was sich in diesem Schwarz oder diesem Weiß alles abspielt, Verwerfungen, Haarrisse, Markierungen, ein Raunen von Braun und Gold und Bleigrau, das sofort wieder verstummt, wenn man einen Schritt zurücktritt, weil ein Wächter auf einen zukommt oder man den Blicken anderer Besucher ansieht, daß sie glauben, man sei der Dorfnarr. Zurbarán. Der Name ist baskisch, was manche Kritiker dazu veranlaßt, seine Düsterkeit mit einem keltischen Hintergrund zu erklären. Viele seiner Gemälde besitzen eine Glut, die, so gebändigt sie auch sein mag, ekstatisch wirkt. Da hat er sich von der Meditation des Weiß und des Schwarz gelöst, da dient diese Studie ihm dazu, einen Brand auflodern zu lassen, stets innerhalb fester linearer Grenzen, die sich erst sehr spät in seinem Leben zum sfumato , zum Verschwommenen, hin auflösen. Diese Linearität ergibt eine extreme, klassische Klarheit, in der die Farbe auflodert, wie zum Beispiel beim Umhang des Engels in der Verkündigung aus dem Grenobler Museum. Manera , materia , Manier und Stoff, hier drückt der Stoff die Manier aus, das Gewand desgöttlichen Boten brennt, der ockerfarbene Umhang des Engels ist von dem Gelb, das man im Rot einer Flamme sieht. Maria hat über ihr rosa Kleid einen blauen Umhang geworfen, dessen dunkle Töne, wie so oft bei Zurbarán, allmählich in Schwarz übergehen.
Auch das »Gemalte« der zarten Landschaft, die im Hintergrund sichtbar ist und entfernt an die flämischen Primitiven erinnert, erweckt den Eindruck, es handele sich hier um eine Aufführung, um Theater. Das Frauengesicht hat sich in sich selbst zurückgezogen, die Frau ist nicht von dieser Welt, diese Augen sind im wahrsten Sinne des Wortes niedergeschlagen. In solchen Augenblicken muß man der Sprache dankbar sein, daß sie bestimmte Wörter bewahrt hat: Diese Augen sind nicht geschlossen, nicht halb geöffnet. Sie sind niedergeschlagen und deuten damit eine Abwesenheit an, sie braucht den Engel nicht mehr zu sehen, sie selbst ist zur Botschaft geworden.
Niemand ist verpflichtet, dem Gedankengang der Zeit zu folgen, in der dieses Gemälde entstand und der der Mann, der es malte, angehörte, weil er damals lebte. Niemand braucht das zu tun, dieses Bild kann man auch einfach als Bild betrachten, und selbst dann bleibt noch genug.
Zurbarán lebte im Süden Spaniens, zur Zeit der Gegenreformation. In diesem begrifflichen Kontext existiert die Frau, die er malt, schon seit Ewigkeiten in Gottes Gedanken. In den Klöstern, in die er kommt, wird es mit einem Vers aus den Sprüchen Salomos (8; 23) in der Epistel folgendermaßen ausgedrückt, die an dem Tag verlesen wird, an dem ihre unbefleckte Empfängnis gefeiert wird: »Ab aeterno ordinata sum, et ex antiquis, antequam terra fieret – ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war. Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren.« Mit der Wirklichkeit hat das natürlich nichts zu tun, wohl aber mit einer Wirklichkeit, der des Malers. Es ist undenkbar, daß dies nicht zu sehen sein sollte, und folglich ist es zu sehen, auch für denjenigen, der es nicht weiß oder glaubt. Wirklich-unwirklich: die Domäne der Kunst. Himmel und Erde werden in diesem Gemäldedogmatisch verbunden, sichtbare Zauberei, denn auch wenn die Lehre verflogen ist, bleibt die Zauberkunst sichtbar. Ich kenne die Gegend, in der Zurbarán geboren wurde, in der er lebte und wirkte. Er stammt aus Fuente de Cantos, und wenn ich
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