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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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die Ausstellung in New York gesehen hatte, wollte ich den Katalog kaufen, aber es gab nur noch die gebundene Ausgabe, die mehrere Kilo wiegt. Ich mußte weiterreisen und wollte mich nicht damit belasten, vorallem auch, weil ich wußte, daß ich die Ausstellung noch einmal in Paris sehen würde. Das tat ich auch, doch da war der Katalog schon am zweiten Tag ausverkauft. Auch das fand ich nicht so schlimm – im Laufe der Jahre habe ich eine recht beachtliche Zurbaránbibliothek zusammengetragen. Aber dann bekam ich in Amsterdam sowohl den amerikanischen als auch den französischen Katalog zu Gesicht. Glaubt man dem amerikanischen, so habe ich unrecht: Das Schweißtuch war da, und nicht nur einmal, sondern zweimal. Das eine aus Valladolid, das andere aus dem Stockholmer Museum. Und doch möchte ich schwören, daß das Valladolider Bild in New York nicht zu sehen war und das Stockholmer (viel gröber und wesentlich uninteressanter) weder in Paris noch in New York. Der Pariser Katalog zeigt auch das berühmte Stilleben aus dem Katalanischen Museum (Museo de Arte de Cataluña), während ich sicher bin, daß es nicht in Paris hing. Sind diese Dinge wichtig? Insofern, als sie den Fetischwert des »echten Gemäldes« deutlich machen. Man kennt die Bilder, man hat sie in ihrer natürlichen Umgebung (dort, wo sie immer sind) gesehen, man will sie wiedersehen.
    Wenige Tage vor der Eröffnung in Paris sah ich mehrere riesige spanische Lastwagen unter Polizeischutz über die Champs-Élysées fahren, und ich weiß, daß die Zurbaráns darin waren. Vielleicht eine gelinde Form von Schwärmerei, aber so ist es nun mal. Bilder, die man in einem entlegenen spanischen Kloster gesehen hat und dann in New York wiedersieht und danach noch einmal in Paris, werden zu Personen. Sie können reisen, genau wie man selbst, es werden Begegnungen, und die hat man mit Personen, nicht mit Dingen.
    Wer aber war der Maler, der hinter seinen Bildern verschwunden ist? In seinem Essay De Poolse ruiter schreibt Vestdijk, nachdem er verschiedene Hypothesen über Rembrandt angeführt hat: »Wir werden nie wissen, was Rembrandt dachte, fühlte, bezweckte. Seinem Seelenleben stehen wir ebenso fremd gegenüber wie dem der Erschaffer von Negerplastiken, in die der moderne Bewunderer so viel an kosmischen Schrecken und barbarischerDämonie hineinlegt, woran kein Neger auch nur im Traum gedacht haben kann. Möglicherweise ist dies der höchste Beweis für ein Kunstwerk: daß es mehr ist, als der Künstler je ahnte, und daß es von jedem Jahrhundert und jedem Betrachter anders, unter immer wieder neuen und überraschenden Aspekten gesehen wird.« Er fügt noch hinzu, das sei eine »Platitüde«, aber ich bin geneigt, ihn da wörtlicher zu nehmen, als er es gemeint hat: Große Kunst »walzt« den Künstler »platt«, seine Motive zählen nicht mehr, er verschwindet in seinen Bildern. Der Maler wird sein Bild und damit auch jeder, der es betrachtet, und dann auch noch das, was der Betrachter dabei denkt. Vielleicht hätte Zurbarán meine Gedanken über seine monochromen Exerzitien für Unsinn gehalten, und doch war er der Motor, der diese Gedanken antreibt.
    Wenn so etwas schon für Rembrandt gilt, der immerhin eine Reihe von Selbstbildnissen hinterlassen hat, so daß man wenigstens seine verschwundene Person sehen kann, um wieviel mehr muß das dann auf Francisco de Zurbarán zutreffen, der eine Biographie voller Lücken und Unklarheiten und kein Selbstbildnis hinterlassen hat, über das Einigkeit bestünde. Natürlich gibt es Spekulationen, doch die betreffen zwei sich überhaupt nicht ähnelnde Männer in zwei verschiedenen Gemälden.
    In einem merkwürdigen, 1929 erschienenen Buch (Andres Manuel Calzada, Estampas de Zurbarán ) ist eines dieser angeblichen Selbstporträts abgebildet, ein Mann mit seltsam verzerrtem Gesicht über einem gestärkten Kragen (Museum Braunschweig). Er deutet auf ein Medaillon, seine Haare sind kurz und schlecht geschnitten, der Bart hat eine eigenartige geometrische Form mit einem spitzen Dreieck, das bis zur Unterlippe hinaufreicht. Experten haben gesagt, daß dieser verkniffene, unweltlich wirkende Mann nicht Zurbarán ist, und wie könnte ich ihnen widersprechen, auch wenn ich dieses geballte Gesicht durchaus mit der unirdischen Stille in vielen seiner Bilder in Zusammenhang bringen kann.
    Allerdings: Zwei Männer, die sich nicht ähneln, heben sich gegenseitigauf und hinterlassen gar kein Gesicht mehr. Der »andere« Zurbarán war

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