Der Umweg nach Santiago
Schnurrbarts läßt den Mund verächtlich wirken, was die Form der Lippen an sich nicht tut. Der hohe merkwürdige Hut hat die gleichen Bahnen wie die griechische Säule hinter ihm.
Juan Pantoja de la Cruz, Philipp II .
Von diesem ersten Besuch erinnere ich mich auch noch an das Pantheon der Könige, einen achteckigen Raum aus Marmor und Gold, in dem die Leichname der spanischen Fürsten liegen und auf den Augenblick warten, wenn sie unter lautem Krachen ihre barocken Bonbonnieren aus grauem Marmor auf brechen werden wie eine seltene Vogelart, die sich aus einem marmornen Ei hackt. Ich weiß noch, daß ich damals allein war in diesem Raum, in der alles verzehrenden Stille, und die goldenen Namen auf den Bonbonnieren las, die Männer links, die Frauen rechts, in chronologischer Reihenfolge. Aber die Zeit des Touristen als Einzelgänger ist vorbei, zumindest an solchen Orten. Von der einen Gruppe zurückgelassen, wird er von der nächsten schon wieder mitgeschwemmt. Sein Blick hängt noch an einem Wandteppich, einem Königsthron, Grabmal, Tabernakel, all den Dingen, die die anderen anscheinend mit einem einzigen staubsaugerartigen Blick aufnehmen können, begleitet von dem rudimentären Kommentar der Routiniers, die ihr Brot damit verdienen. Welchein Traum, einmal von einem Bediensteten für eine Nacht in den Escorial eingelassen zu werden und ganz allein, mit einer Kerze und einem Plan, durch diese totenstillen, verhexten Räume zu wandern. Aber eine Nacht wäre lange nicht genug, denn dies ist ein Kosmos, ein Irrgarten, in dem die rastlosen Königsseelen durch die Gänge geistern. Wie seltsam muß es sein, die Dinge, die man zu Lebzeiten so achtlos benutzte, die Gemälde und Skulpturen, über die der Blick so gedankenlos glitt, durch eine Schicht von Jahrhunderten wiederzusehen, der Marmor noch genauso hart, das Gold noch genauso glänzend, dieselbe Religion noch immer im Schwange, und etwas von der schafsköpfigen Bewunderung der Masse aufzusaugen, die noch immer kommt, um die Königsmacht zu bestaunen. Wunderlicher vielleicht als das, was verschwindet, ist das, was bewahrt wird, denn wann wird es aufhören, wann wird die Nachwelt hier nicht mehr entlangziehen und die Grecos und van der Weydens begaffen, der Litanei der Maße und Zahlen lauschen, mit der der Führer sie überschwemmt, der heute noch nicht geborene Führer.
Die Zeitreise der Science-fiction-Filme, die würde ich auch gern einmal machen, nicht, um eine futuristische Kultur zu sehen, in der ich mich doch nie heimisch fühlen würde, sondern vielmehr, um von dieser unvorstellbaren künftigen Welt aus das gleiche zu sehen, was ich jetzt sehe. Alle christlichen Symbole, die jetzt noch etwas bedeuten, werden dann so fremd klingen wie die Schöpfungsgeschichte der Aborigines in Australien. Ein Gott, der die Welt in sieben Tagen erschuf, die Erbsünde, die Vertreibung aus dem Paradies, die Jungfrau, die den Sohn Gottes gebar, der Sohn, der am Kreuz starb, und die Darstellung all dieser Fabeln in Farbe und Stein, Holz und Gold. Und noch immer wird es sie geben, die überlebensgroßen bronzenen und goldüberzogenen Gräbergruppen Karls V . und Philipps II . zu beiden Seiten des Altars in der Königlichen Kapelle. Der kniende Kaiser trägt seine Rüstung und seinen Kaisermantel, und darauf der zweiköpfige Adler (ein dann ausgestorbenes Tier, so als führe jemand einen Dinosaurier in seinem Wappen), skulptiert aus demschwarzen Marmor von Mérida. Rechts von ihm Kaiserin Elisabeth, die Mutter Philipps II ., hinter ihm seine Tochter und seine beiden Schwestern, die Königinnen von Ungarn und Frankreich. Der Führer erklärt, was das alles ist, ein König, ein Kaiser, beten, knien, eine dorische Säule, das Goldene Vlies, und es wird sich wie eine Geschichte aus mystischer Vorzeit anhören, bei der die heute noch ungeborenen Touristen erschauern werden vor der ein für allemal vergangenen Pracht einer Zeit, als die Menschen größer waren als ihr Körper, in Gold gekleidet gingen und an Götter glaubten. Aber es ist noch »jetzt«, und in diesem Jetzt gehe ich an einem gemalten Wald aus Lanzen vorbei, einer Feldschlacht, die eine endlos lange Wand einnimmt. Es ist die Batalla de Higuerela. Die Pferde sind in den Farben der Kämpfenden ausstaffiert, Reiter mit Lanzen und Armbrüsten preschen vor, dahinter geschlossene Reihen mit wartendem Fußvolk, jeweils mit eigener Fahne. Der Gestank des Todes, des Bluts und des Staubs ist nicht sichtbar, der Lärm der Wut,
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