Der Umweg nach Santiago
fall auf das Einwohnermeldeamt in Amsterdam, wurde dabei gefangengenommen, zum Tode verurteilt und 1943 hingerichtet. Ein bewegtes, nicht sehr holländisches Leben. Nach seiner Rückkehr aus dem Spanischen Bürgerkrieg schrieb er unter dem Pseudonym Maarten van de Moer einen merkwürdigen, trotz seiner idiotisch okkultistischen Züge aber dennoch fesselnden Roman über diesen so grausamen Krieg, De schatten van Medina-Sidonia , ein Buch, das während der Besatzungszeit verboten und beschlagnahmt wurde. Nach dem Krieg wurde es unter Brouwers richtigem Namen mit dem Titel In de schaduw van den dood neu herausgegeben; darin kommt ein weniger ausgewogenes, eher bewunderndes Urteil über Philipp II . zum Ausdruck. Die Hauptfigur des Buches, ein Utrechter Student, Mitglied der Internationalen Brigaden, gelangt in der Nähe des Escorial mit einem Deutschen in Kontakt, »der dem preußischen Adel angehörte«, sich aber Lenz nennen ließ. Dieser Lenz, desillusioniertaus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, hat »in Spanien wieder zu sich selbst gefunden« und erklärt dem jungen Niederländer, wie das kam.
»Siehst du da rechts oben den kahlen Felsen? Auf halber Höhe ist eine Höhle, eine Art Nische. ›Philipps Sitz‹ nennt man sie hier. Es heißt, daß Philipp II . von dort oben den Bau dieses kolossalen Monstrums verfolgte. Ich bin eines Nachmittags dort hinaufgeklettert. Die untergehende Sonne tauchte das ganze Bauwerk in eine rötliche Glut und verwandelte es in dieser dürren Wüstenei in ein leuchtendes, aber flüchtiges Traumbild. Da habe ich Philipp und mich selbst verstanden. (...) Ich bin dort oben, in diesem Sessel Philipps, ein anderer Mensch geworden. Philipp hat nur die Nichtigkeit des Lebens gesehen und die Majestät Gottes. Wir müssen auch die Majestät des Menschen sehen. Wir sind für jedes Leben um uns verantwortlich.«
Den hochtrabenden Ton dieses Gesprächs braucht man nicht nur der Zeit zuzuschreiben, in der Brouwer schrieb, oder seinem romantischen Gemüt. Den Escorial, die Sierra de Guadarrama (für Ortega y Gasset in seinen Meditationen über Don Quijote nichts weniger als die Seele Spaniens) und die Gestalt Philipps II . umgibt nun einmal etwas, was die Phantasie reizt, und erst vor diesem steinernen Königsstuhl erkennt man, warum. Dort liegt er nun, von dort aus hat Philipp beobachtet, wie seine Schöpfung sich langsam entfaltet, bis der Palast so aussah, wie er heute noch aussieht, ein abweisendes Viereck, das ein Hochgebirge an Kuppeln und Türmen umschließt. Wenn die Sonne darauf scheint, wirkt es, als brennten die Mauern, dann wird es in dieser weiten, wogenden grünen Ebene zu einer brennenden Vision. Eis und Feuer, denn gleichzeitig jagt einem die gebändigte, strenge Form dieser steingewordenen Idee Schauder ein, und das Auge, das gesehen hat, was sich dort drinnen alles befindet, kann sich nicht satt sehen. Dort wohnten die Zwerge und Schwachsinnigen, mit denen der König sich so gern umgab und über die er solch wunderbare Briefe an seine Tochter Isabella schrieb. Und dort treffen auch die Unglücksbotschaften aus all seinen Landen ein, die denKönig böse und niedergeschlagen machen. Zur selben Zeit, in der er in den Niederlanden Krieg führt, muß er sich auch über die Seemacht der Türken Sorgen machen, und um all diese Kriege bezahlen zu können, müssen die Steuern ständig erhöht werden. Im April 1574 rechnete Juan de Ovando, sein wichtigster Finanzberater, aus, daß der König mit vierundsiebzig Millionen Dukaten verschuldet war. Kein Wunder, daß Philipp seufzte: »Ich habe diese Geschichte mit den Anleihen und Zinsen nie begriffen. Es ist mir nie gelungen, das in meinen Kopf hineinzubringen.« Die Probleme hören sich äußerst modern an: Staatsbankrott, wobei hochverzinsliche kurzfristige Staatsanleihen automatisch in langfristige Anleihen zu niedrigen Zinsen umgewandelt werden – wo haben wir das schon mal gehört? Das Gold und das Silber aus den Kolonien floß nach allen Seiten hin weg, und das Bild von der Spinne im Netz bekommt einen Riß, wenn man Philipp seufzen hört: »Um ehrlich zu sein, ich begreife kein Wort. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Soll ich das Memorandum an einen anderen weiterleiten, mit der Bitte um Kommentar, und falls ja, an wen? Die Zeit vergeht unbemerkt: Sagt mir, was Ihr mir zu tun ratet? Wenn ich den Verfasser des Memorandums sehe, werde ich ihn wahrscheinlich nicht verstehen, wiewohl es, wenn ich die Papiere vor mir liegen hätte,
Weitere Kostenlose Bücher