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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Angst und Pein ist unhörbar, die Fahne mit dem Halbmond wird zertrampelt, die bunten Schilde fangen das Sonnenlicht ein, ich gehe daran vorbei, als nähme ich eine Parade ab, und lasse mich in den Thronsaal mitführen, aber als die anderen weitergehen, verstecke ich mich hinter einer Wand, stehe da für einen Moment allein und schaue auf den Thron, der wie ein kleiner Stuhl aussieht. Von dort konnte Philipp über das Land blicken, das nirgends aufhörte, und an die fernen Provinzen denken, wo er nie gewesen war und auch nie hinkommen sollte.
    Es ist hell in diesem Saal, hell und leer, und es scheint, als habe in diesem Stühlchen, auf dem roten Kissen, eben noch jemand gesessen, der gleich zurückkommen kann. Hier hängen Karten all seiner Länder, von Flandria und der Alleredelsten Provinz Brabantia, aber auch von Gebieten, die weit jenseits des Äquators liegen. Es war tatsächlich unvorstellbar, die Größe dieses Reichs, oder besser gesagt, die Personalunion, die in ihm vereinigt war. Im Vorwort zu Geoffrey Parkers Biographie des Königs erläutert S. Groenveld das sehr gut: Das Gebiet war keine wirklicheEinheit, Spanien sowenig wie die anderen Gebiete. »Spanien war eine Bündelung von Königreichen, unter denen Aragonien (selbst drei Königreiche groß und im Mittelalter um italienische Gebiete erweitert) und Kastilien (mit seinen wachsenden Kolonialgebieten im Westen) besonders hervortraten. Nicht anders verhielt es sich mit den Niederlanden, jener Ansammlung von siebzehn Gebieten mit jeweils eigenem Landesherrn, die ab dem späten Mittelalter in die Hände einer Familie – seit 1482 das Haus Habsburg – gelangt waren. Doch damit waren auch diese Gebiete noch keine Einheit. Jedes betrachtete Philipp und seine Vorgänger nur als seinen eigenen Fürsten, seinen ›natürlichen‹ Herrn; daß er auch Fürst über andere Gebiete war, spielte für sie keine Rolle. Auch wenn sie Philipp ›den König‹ nannten, weil dies nun einmal sein höchster Titel war, so blieb er für die Bewohner einer bestimmten Provinz nur ihr Herzog oder Graf oder Herr.«
    Wie eine Spinne im Netz. Jetzt, während ich Parkers Buch lese, merke ich, daß ich nicht der einzige bin, der diesen Vergleich benützt. Der Mann in dem kleinen Raum, der Raum im Palast, der Palast mitten in Spanien, und Spanien im Mittelpunkt all dieser fernen und fernsten Gebiete, die er ererbt und erobert hat, bis hin zu Chile und den Philippinen. Das und die Tatsache, daß dieser eine Mann alle Fäden selbst in der Hand zu halten wünschte und das über vierzig Jahre lang auch tat, so daß schließlich alle Fäden aus diesem Raum und in ihn hinein liefen, in dem er alle Dokumente selbst las und oft in seiner spinnwebenfeinen Schrift mit Anmerkungen versah, das alles hat zu diesem doch immer leicht gruseligen Bild aus dem Tierreich beigetragen, der Spinne im Netz. Es ist schwer, sich dessen Bann zu entziehen. Zumal als Niederländer hat man sich an das Greuelbild gewöhnt, das sich auch nach so vielen Jahrhunderten noch hält und zu dem die protestantische Propagandageschichtsschreibung jener Zeit so viel beigetragen hat. Für uns Niederländer war Philipp ein grausamer Tyrann, und damit hatte es sich. Blutschänder, blutrünstiger und zugleich kalt berechnender Despot – alles hat man ihm an den Kopf geworfen, das erste nuancierte Urteil, das ichüber ihn las, stammte von Johan Brouwer ( De achtergrond der Spaanse mystiek , in seinen bei G. A. van Oorschot erschienenen Gesammelten Werken ), der sagt, wer es genau nehme mit der geschichtlichen Wahrheit, werde Philipp vor dem Hintergrund seiner Zeit, seiner Natur und seiner Herkunft beurteilen müssen und nicht anhand von aus Feindschaft oder Parteilichkeit entstandenen Vorstellungen oder – seit Jahrhunderten kursierenden – Legenden.
    Das ist der Standpunkt des aufrechten Historikers. Doch Johan Brouwer besaß auch ein anderes, weit romantischeres Gesicht und war im Grunde eine der schillerndsten Persönlichkeiten unserer Literatur. Wegen Raubmords verurteilt, studierte er im Gefängnis Spanisch und entwickelte sich zu einem berühmten Hispanisten, der später eine Reihe von Büchern über Spanien und die spanische Geschichte schrieb. Als Sympathisant Francos ging er während des Bürgerkriegs nach Spanien. Er »bekehrte« sich aber vor Ort und schlug sich auf die Seite der gesetzmäßigen Regierung, der Republikaner also. Im Zweiten Weltkrieg ging er in den Widerstand, beteiligte sich an dem großen Über

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