Der Umweg
stand ein zweites Glas Jenever.
»Warum nicht?«
»Weil ich den Schaden vollständig bezahle.«
»Das heißt, heutzutage darf man ruhig überall Feuer legen, ohne ins Gefängnis zu kommen?«
»Ich glaube, das hängt von den Umständen ab«, sagte der Mann. »Ich bin nicht weggelaufen. Ich habe kooperiert. Das spielt wahrscheinlich eine Rolle.«
»Kannst du den Schaden denn bezahlen?«
»Aber ja.«
»Trotzdem ist alles deine Schuld.«
»Wie kannst du das bloß sagen, Schwiegermutter. Ist die Sache für dich so eindeutig?«
»Ja.«
»Du weißt doch, was sie getan hat.«
»Ja.«
»Wie kann ich dann an allem schuld sein?«
»Na ja, ist diese Geschichte überhaupt wahr? Du hast sie uns erzählt. Wer sagt uns, daß du nicht lügst?«
»Wieso sollte ich lügen?«
»Weil du etwas zu verbergen hast.«
»Ich habe überhaupt nichts zu verbergen.«
»Nein«, sagte der Schwiegervater, ohne den Blick vom Fernsehschirm abzuwenden.
»Misch dich nicht ein«, sagte die Schwiegermutter. »Wo kann das arme Kind bloß stecken?«
»Dieser Onkel«, sagte der Mann. »Dein Bruder. Lebt der noch?«
»Und ob der noch lebt!« antwortete der Schwiegervater. »Der ist ja noch keine siebzig.«
»Wo wohnt er?«
»Glaubst du vielleicht, sie wäre bei ihm?« fragte die Schwiegermutter.
»Da ist sie nicht«, sagte der Schwiegervater.
»Er hat ihn schon angerufen. Da ist sie nicht. Oder er lügt, das kann natürlich gut sein, der Mann ist total verrückt.«
Im Fernsehen wurde wieder gesungen und gewertet, der Schwiegervater hatte den Ton nach der letzten Bemerkung seiner Frau ein bißchen lauter gestellt. Er saß viel zu nah vor dem Gerät, der Mann konnte sich nicht vorstellen, daß man etwas sah, wenn man den Bildschirm direkt vor der Nase hatte. Oder war das seine Art, sich zu verstecken, damit er hin und wieder aus sicherer Deckung heraus eine Bemerkung machen konnte?
»Geld«, sagte der Schwiegervater.
»Was?«
»Bekommt ihr keine Kontoauszüge von der Bank zugeschickt? Darauf kann man doch sehen, wieviel jemand wo am Automaten zieht. Sie braucht doch Geld!?«
»Ich bekomme Kontoauszüge«, sagte der Mann. »Sie nicht. Sie macht alles übers Internet. Da komme ich nicht ran. Wir haben kein gemeinsames Konto.«
»Ich glaube, du hast etwas zu verbergen«, sagte die Schwiegermutter. »Du entpuppst dich ja auch plötzlich als Brandstifter.«
Der Mann seufzte.
»Daß ihr keine Kinder habt, ist bestimmt auch deine Schuld.«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Hat sie dir nichts von den Untersuchungen erzählt?«
»Von welchen Untersuchungen?«
»Meinen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Das merke ich.«
»Ich möchte ein Glas Wein.«
»Was?« sagte der Schwiegervater.
»Ich sagte, ich möchte ein Glas Wein. Weißwein.«
»Ja, dann hol dir doch welchen.«
»Deinem Schwiegersohn gibst du was zu trinken, und ich muß es mir selbst holen?«
»Ja«, sagte der Schwiegervater. »Ich sehe fern. Und du trinkst nie was.«
Die Schwiegermutter stand auf und ging in die Küche. Der Mann dachte noch darüber nach, wie scharf sie das Wort »Schwiegersohn« ausgesprochen hatte, er erwartete, daß sein Schwiegervater sich jetzt zu ihm umdrehen würde. Etwas sagen würde. Männer unter sich. Lichtgarben huschten durchs Zimmer.
»Warum machen sich all diese Leute bloß so lächerlich?« fragte der Schwiegervater.
»Tja.«
»Begreife ich nicht.«
»Willst du denn nicht ins Fernsehen?«
»Ach was.«
»Die schon. Und dafür tun sie alles.«
»Früher hat sie am Nikolausabend immer aus dem Fenster geschaut. Sie gehörte zu den Kindern, die sich die Nase an der Scheibe platt drücken und auf die nasse Straße starren.«
»Und die Geschenke?«
»Ja, die interessierten sie auch, klar, aber trotzdem …« Der Schwiegervater blickte auf den Bildschirm. »Was mich vor allem ärgert«, sagte er leise, »ist dieses ›wirklich‹. Daß sie gesagt hat, wir sollten uns ›wirklich‹ keine Sorgen machen.«
Die Schwiegermutter kam zurück. In der Hand ein Glas, das zu einem Viertel mit Wein gefüllt war. Sie setzte sich, trank einen Schluck und verzog das Gesicht. »Du bist also gesund?«
»Mir fehlt nichts.«
»Wann war das?«
»Letztes Jahr im Herbst.«
»Hat sie sich auch untersuchen lassen?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Vielleicht ist das gar nicht nötig?«
»Ist das eine Frage?«
»Nein, eine Feststellung.«
»Ich an ihrer Stelle würde mich untersuchen lassen.«
Sie tranken alle drei und starrten auf den Fernseher. Ein Junge
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